Als ersten Beitrag in diesem Forum möchte ich die „Elbzollfregatte“ deren Kommandant mein Avatar, Joachim Deetjen, war, vorstellen.
Ein kleines alltägliches Schiff, das mein Interesse geweckt hat, weil es die britische Marinegeschichte quasi vor die Haustür gebracht hat.
Für einen kleinen Jungen, dessen Schulweg täglich an einer "Gibraltarkaserne" vorbeiführte, und dessen Vorfahren auf alten Fotos mit Fahnen zu sehen sind, die Fahnenbänder mit Namen wie Peninsula und Waterloo tragen, stellte sie einen Bezug zur Geschichte und zur weiten Welt da draussen her.
Sie war eine Gun Brig der „Archer Class“. 177 31/94 Verdrängung, 80 Fuss Länge Gundeck, 65 Fuss 10 1/4 Inch Länge Kiel, 22 Fuss 6 Inch Breite. Regulär mit 2 Bug-/ Jagdgeschützen, 32-Pfünder Karronaden (stell ich mir als Laie als Jagdgeschütz lustig vor) und 10 18-Pfünder Karronaden in der Breitseite, ausgerüstet. ( Wikipedia spricht hier von 14 Geschützen. Der seinerzeitige Übernahmebericht und andere Quellen erwähnen die vorstehenden 12.) Am 09. Januar 1804 bei Obadiah Ayles geordert und am 29. Juli desselben Jahres, (soetwas ging damals wohl noch) als „Piercer“ in Topsham, Exeter, Devon, vom Stapel gelaufen.
Nach 10 Jahren Dienst in der Royal Navy, am 04. Juni 1814, dem Geburtstag König Georg III, dem Königreich Hannover als „Elbzollfregatte“ übergeben. In den 10 Jahren unter der britischen Flagge war die Piercer in den Downs stationiert und hat an verschiedenen Einsätzen erfolgreich teilgenommen. Weiteres s. unten.
Elbzoll wurde in Brunshausen bei Stade bereits seit 1038 mit Unterstützung von so genannten Ausliegern, zunächst noch in Naturalien, spätestens seit 1630 mit Unterstützung von 3 Wachtschiffen, in Geld, erhoben. In der Zeit, die uns interessiert, betrug das jährliche Zollaufkommen etwa 120 000 Taler, war also nicht ganz unerheblich.
Die Bedeutung, die das Schiff für Hannover hatte, lässt sich auch anhand der Kosten für die Übergabefeierlichkeiten entnehmen. So sollen die 9 britischen Matrosen je 2,20 Rthl, die beiden britischen Offiziere, Kapitän Rose und Leutnant Edwards, „ein Service von 1 Tischdecke und 12 Servierten in feinem Damast = 18,32 Rthl. und einen halben Anker (entspricht 18 Liter) Cognac“ erhalten haben. Dannach haben dann 5 britische und 3 hannoversche Offiziere 110,45 Rhtl. im „Herzog von Cumberland“ verspeist und ver…… .
Als Vergleich: 1811 erhielt der weimarer Bürgermeister ein Salär von 502 Taler 18 Groschen als Jahresgehalt, um 1800 ein Kopist der preussischen Kriegs- und Domänenkammer 50 Taler. Die Berliner Ausflugslokale „In den Zelten“ verlangten 1778 für ein gebratenes Huhn mit Gurkensalat 8 Groschen, also 1/3 Taler. Noch in den 1860er Jahren erhielt ein Mannschaftsdienstgrad der Infanterie der Hannoverschen Armee jährlich 24 Taler 10 Groschen Gage (Sold), 6 Taler 2,5 Groschen Service (Wohngeld) und 36 Taler 15 Groschen Portion (Verpflegungsgeld) dies bei Steuer- und Portofreiheit und freier Heilbehandlung für sich und seine nächsten Angehörigen (nach Joachim Niemeyer, Die königlich hannoversche Armee, 2. Aufl. 1989).
Es muss also ein denkwürdiges Fest gewesen sein.
Der übernehmende hannoversche Hauptmann Delius beschrieb das neue Schiff:
„Die Brigg hat 12 Kanonen, ist sehr passlich und bequem eingerichtet, geht nur 8 – 9 Fuss tief, ist mit allen Segeln und Inventar versehen, ist stärker als bisher berichtet war. Es kann von 11 Mann gut bedient werden.“
Damit unterscheidet sich Delius Auffassung deutlich von derjenigen der britischen Seeleute, die Forrester wie folgt beschrieb: „few men in the Royal Navy had a good word to say for the gun-brigs, which rolled terribly an were greatly over-crowded.“
Was natürlich damit zu tun haben kann, dass in Hannover – aufgabenbedingt - nicht nur auf die standartmässigen 15 Marineinfanteristen sondern auch noch auf eine grosse Zahl von weiteren Besatzungsmitgliedern verzichtet werden konnte und keine längeren Dienste auf See geleistet werden mussten. Für die Jahre 1827 bis 1833 gibt der Staats- und Adresskalender als Besatzung 1 Capitain, 1 Schiffer, 1 Schiffszimmermann, 4 Unteroffiziere und 22 Matrosen, also 28 gegenüber 50 Mann britischer Standartbesatzung, an.
Anlässlich der Übergabe kam auch der von Jack Aubrey hinlänglich bekannte „private Pulvervorrat“ zur Sprache. Gab doch der Leutnant Edwards aus dem seinen für 43,24 Rhtl. dringend benötigtes Pulver an die Hannoveraner ab.
Wohl 1850, also nach einer vergleichsweise langen Dienstzeit von 46 Jahren, wurde die Piercer ausser Dienst gestellt, nachdem sie bereits 1828 einer „Hauptreparatur“ unterzogen worden war.
Ein kleines, zugegeben ganz überwiegend regionalgeschichtlich interessantes, Schiffsleben, dass die Hannoveraner mit der seebeherrschenden Marine eines damaligen Weltreiches verbindet. Vielleicht auch ein wenig traurig, ein See-Schiff für 36 Jahre in der Elbe zu wissen?!
Eine Übersicht über die Einsätze und „Erfolge“ der Piercer unter britischer Flagge findet sich als englischsprachiger Artikel bei Wikipedia unter
„Piercer 1804“.