Raoul Schrott - Eine Geschichte des Windes ...

  • ...oder von dem deutschen Kanonier, der erstmals die Welt umrundete und dann ein zweites und ein drittes mal


    So ein langer Buchtitel! :D


    Ich entdeckte dieses Buch neulich in Hamburg beim Hafen-Fuchs und konnte nicht anders, als es sofort mitzunehmen.

    Es ist historisch verbürgt, dass unter den 18 Männern, die lebend von Magellans Weltumsegelung heimkehrten, auch ein Deutscher war. Dessen Geschichte erzählt R. Schrott.

    Das Buch beginnt mit 12 kurzen Kapiteln, in denen der Autor die Vorgeschichte erzählt. Wir erfahren, wie Hannes, unser Held, das Handwerk des Kanonengießens lernt und wie es ihn schließlich nach Spanien verschlägt. Auch das Warum der Ausrüstung und Finanzierung der Expedition durch den Spanischen Königshof wird kurz beleuchtet.

    Mit Beginn der Fahrt selbst wechselt der Autor in die Ich-Form und lässt so Hannes selbst zu Wort kommen.

    Bisher bin ich über den ersten Sturm noch nicht hinausgekommen, habe aber bis jetzt richtig viel Spaß an dem Buch. Der Schreibstil ist so ganz anders als "normale" maritim-historische Romane, es klingt teilweise etwas altmodisch, aber das auf augenzwinkernde Art - herrlich! Ich bin guter Dinge, dass das so bleiben wird und werde dann weiter berichten. fr18


  • Raoul Schrott hat schon ein beachtliches Werk zusammengetragen, wie es scheint ein hochgebildeter und sehr vielseitiger Mann. So hat er das Gilgamesch-Epos aufgeschrieben, die Illias neu übersetzt, romanhafte Reiseberichte über sehr exotische Orte verfasst, die klassischen griechischen Dramen übersetzt, eine Erdgeschichte verfasst und und und. Bei dieser Vielseitigkeit könnte man ihn fast für einen Zeitgenossen Stephen Maturins halten und ich hätte mich nicht gewundert, wenn er Stephen eine kluge Abhandlung über den menorquinischen Wiedehopf gesandt hätte. Kurz zusammengefasst: ich bin beeindruckt und darauf darf er sich gern etwas einbilden.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Seit vielen Jahren bin ich Leser und Bewunderer der vielseitigen Werke von R. Schrott. Wie auch Christoph Ransmayr ist RS ein Gegenwartsautor von besonderem Format!

    Aufmerksam bin ich auf ihn geworden durch: Die Erfindung der Poesie - Gedichte aus den ersten viertausend Jahren - erschienen in der wunderbaren Anderen Bibliothek (Hrsg. von H.-M. Enzensberger).

    Bei Tristan da Cunha oder die Hälfte der Erde (2003) hätte ich mir vor Jahren fast die Zähne ausgebissen, der Roman ist aber wunderbar! Dazu finden wir bei Wiki: "Von der Kritik wurde Tristan da Cunha oder die Hälfte der Erde überwiegend begeistert aufgenommen: Schrott beeindrucke vor allem durch „[e]ine Kraft der Sprache, von der nicht leicht ein Begriff sich geben lässt. Es erscheinen Passagen, die man nicht anders als mit angehaltenem Atem zu lesen vermag, Sätze, die einem tagelang nachgehen.“ Der Roman sei „Weltliteratur“, „ein Buch, das zeigt, was sich die Literatur deutscher Sprache am Anfang dieses Jahrhunderts trauen könnte."

    Danke an Bonden für den Hinweis! Ich hatte den R.S. etwas aus den Augen verloren. Ein bestimmt wertvolles Buch hast du uns vorgestellt! Danke!

    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)

  • Ich habe nach wie vor Spaß an dem Buch. Wir haben die erste Weltumsegelung beendet, und alles, was danach an Land geschieht, wird wieder aus Sicht des Autors erzählt. Nun aber stehen wir kurz vor Beginn der zweiten Reise unseres Romanhelden, und ich vermute, dann geht der Erzählstil wieder in die ICH-Form über.

    Man muss sich echt auf den Schreibstil einlassen. Der Autor vermittelt den Eindruck, man lese wirklich Aufzeichnungen aus einem früheren Jahrhundert; die Sprache ist anders, die Sätze oftmals ellenlang, und das nicht, weil es Schachtelsätze sind, sondern weil der Autor einfach keinen Punkt setzt, sondern nur ein Komma, es muss ja auch nicht immer ein Punkt gesetzt werden, die Leserin und der Leser wird schon klar kommen, wenn man sich erstmal daran gewöhnt hat, liest es sich leichter, überhaupt sind viel zu viele Bücher in diesem Einheitsschreibstilbrei geschrieben, was immer man sich auch dabei denkt, da gibt es doch keine Anstrengungen mehr für das Hirn, und noch nie hat sich ein Hirn beschwert, dass es zu sehr angestrengt hat, es beschwert sich immer nur der Nutzer dieser genialen biologischen Denkmaschine.

    So in etwa. :D Nur mit viel mehr leisem, augenzwinkernden Humor. Hach, es ist eine Freude, dieses Buch zu lesen! fr18

  • Aye, Gentlemen,


    Allein schon der hier so überzeugend dargestellte Stil des Autor, der ja schon fast an die köstlichen Satzbauten Schopenhauers heranreicht, macht es interessant dieses, der Unterhaltungsliteratur zuzuweisende Werk, anders anzusehen, und es sich anzueignen um endlich mal wieder richtige, der Sprache angemessene, Sätze zu genießen, ohne ständig dieses

    Kurzsatzgehacke durchleiden zu müssen. 😅😅😅😅


    Nun, geht doch.


    Angarvater

    To the optimist, the glass is half full.
    To the pessimist the glas is half empty.
    To the engineer, the glass is twice. As big as it needs to be.

  • Zitat

    Ah - die lang erhofften Momente: wie kurz sie sind! Das Meer voraus aufglitzernd und offen, Gischt vor dem Bug, der Geruch von Teer und Holz und frischer Farbe, die Zunge über salzige Lippen leckend, Augen zusammengekniffen vor soviel Licht, den wind im Mund, und wie er in den Tauwerken singt, sobald man Fahrt macht. Ein Hunger nach Weite die Brust füllend und die klippe von Finesterre aufgelöst in der Glast, wird dennoch all dies viel zu schnell wieder altgewohnt, schlüpft man in die Seemannskleidung, rote Wollkappe, lose Bluse und Kniehose, den dunklen blauen Umhang fürs Schlechtwetter und die Nacht, als hätte man sie nie abgelegt: und das Einerlei beginnt von neuem. Doch derart verspürt man zumindest einmal wonnige Seligkeit, was nicht wenig ist.

    Ich wünschte nur, man könnte in der Verheissung verharren und all das Miserable, das einen erwartet, hintan halten. Die See wird nicht von ungefähr "Mar" geheissen: was von der Bitterkeit herrühren soll, Amargura, welche sie einem alsbald beweist. Die Seekrankheit ist das Geringste daran, obwohl selbst die erfahrensten Matrosen sich dann halbtot fühlen und bloss mit der Peitsche in die Wanten zu bringen sind. Doch das vergeht, während das Meer einem weiterhin vorführt, dass die Menschen auf ihm nichts verloren haben. Trotzdem wollte ich ihm irgendetwas abgewinnen - ohne dass ich genau hätte sagen können, was.

    So beschreibt unser Hans den Beginn seiner zweiten Weltumseglung, diesmal als Mitglied der Expedition von Garcia Jofre de Loaisa.

    1525 verlässt die Flotte von 7 Schiffen La Coruna; nur wenige der ca. 450 Männer werden 11 Jahre später wieder zurück nach Spanien kommen - darunter auch unser Hans von Aachen.

    Wie schon bei der ersten Reise (und wie von mir erwartet) wird die Geschichte hier wieder in der Ich-Form erzählt. An einigen Stellen aber wechselt das Buch den Erzählstil völlig: Der Autor schreibt dann aus dem Hier und Jetzt, berichtet, wie er den jeweiligen Ort der Handlung selbst besucht und nach Spuren vergangener Tage geforscht hat.


    Man bangt und hofft auf dieser Reise erneut mit dem Romanhelden, der erneut das volle Programm zwischen Freud und Leid erlebt, nur um am Ende erneut arm und mittellos an Land gespült zu werden.

    Und doch ist es irgendwie folgerichtig, dass er sich dann irgendwann ein drittes Mal an Bord eines Schiffes begibt, welches diesmal zur Expedition von Ruy López de Villalobos gehört, welche im Jahr 1542 aufbricht, um in Ostindien neue Handelsrouten zu finden.

    Auf den Osterinseln endet dann die Geschichte, aber noch nicht das Buch. Der Autor erzählt uns noch, wie er an die Aufzeichnungen von Hans aus Aachen gekommen ist - und das ist so hübsch dargelegt, dass man am Ende nicht wirklich weiß, was daran nun wahr ist und was der dichterischen Freiheit von R. Schrott entsprungen ist.


    Sicher ist nur eins: Hans aus Aachen hat es wirklich gegeben, und er hat tatsächlich zweimal die Welt umsegelt. Das, was Raoul Schrott daraus gemacht hat, ist ein von der ersten bis zur letzten Seite spannendes, unterhaltsames, witziges, warmherziges und bemerkenswertes Meisterwerk, das in keiner maritim-historischen Büchersammlung fehlen sollte.


    Da gebe ich mit Freuden fünf von fünf Säcke Gewürznelken und lege noch fünf Säcke Muskatnüsse obendrauf. :5*::5*:

  • Am Sonntag habe ich Raoul Schrott auf 3Sat im Literaturclub erlebt, wo er zum Stammpersonal gehört. Es macht auch da richtig Spaß, ihm zuzuhören.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)