Ian McGuire – Nordwasser

Ian McGuire – Nordwasser

Literaturvorstellung Dezember 2021

Vor einiger Zeit fiel mir dieser Roman in die Hände und weil maritime Romane ja dünn gesät sind, griff ich zu. Bereits die ersten Zeilen waren verstörend, weshalb ich den Roman rasch wieder zur Seite legte. Mit dem Hörbuch unternahm ich einen zweiten Versuch. Hier sind nun meine Gedanken zu diesem Werk.

Die Handlung spielt im Jahr 1859. Die Volunteer ist ein alter Walfänger, der seine besten Zeiten hinter sich hat.

Ohnehin hat der Walfang seine besten Jahre hinter sich, denn die traditionellen Walbestände sind schon stark dezimiert und das Petroleum beginnt, dem Walöl den Rang abzulaufen.

Der Kapitän der Volunteer hat sein letztes Schiff verloren und ist nun sozusagen auf Bewährung. Wie diese Bewährung aussieht, wird ziemlich rasch klar, denn auch dieses Schiff soll er verlieren, um seinen Besitzern und sich selbst einen letzten grossen Geldregen zu bescheren.
Dies ist sozusagen die Rahmenhandlung, die spannender wäre, wenn man nicht schon am Anfang erfahren würde, worauf es hinauslaufen soll.

Dann ist da noch die Besatzung. Verroht von ihrem blutigen Gewerbe, das neben Walfang auch noch aus Robbenschlagen besteht. Ein Mann sticht mit seiner Brutalität heraus: Henry Drax ist einer der Harpuniere und er ist ein echter Psychopath, der seine kranken Phantasien auslebt. Autor Ian McGuire lässt uns in epischer Breite – kein Detail auslassend – daran teilhaben. Der andere Protagonist ist Patrick Sumner, der Schiffsarzt. Auch bei ihm merkt man sehr schnell, dass da irgendetwas nicht stimmt. Angeblich will er die Zeit der Fahrt nutzen, um die Klärung seiner Erbschaftsangelegenheiten abzuwarten. Tatsächlich ist er auf der Flucht vor seinen Gläubigern und vor sich selbst. Er war als Militärarzt in Indien, hat den Sepoyaufstand in all seiner Brutalität auf beiden Seiten erlebt und wurde unehrenhaft entlassen. Doch die Bilder der Schrecken verfolgen ihn noch immer, egal wieviel Laudanum er zu sich nimmt. Glücklicherweise beschenkt uns Ian McGuire auch mit diesen Bildern in aller Ausführlichkeit.

Wohin man auch schaut im Internet, dieser Roman erntet überwiegend begeisterte Zustimmung. Diese Zustimmung lässt mich fast noch ratloser zurück als das Buch selbst. Wie ticken Menschen, die sich von der Trostlosigkeit und Brutalität der Handlung angezogen fühlen. Ist ihr eigenes Leben so schrecklich, dass es ihnen hilft, wenn es anderen Menschen noch viel schlechter geht? Und was ist mit dem Autor? Ich schreibe ja bekanntlich selbst und wenn man nicht gerade um jeden Satz kämpfen muss, kommt man irgendwann in einen Flow, in so eine Art Kopfkino und die Geschichte läuft dann fast schon automatisch im Kopf ab. Entschuldigung, aber ich möchte weder Henry Drax noch Patrick Sumner in meinem Kopf haben, und ein Autor, in dem solche Bilder entstehen, macht mir irgendwie Angst. Vielleicht sollte er lieber pathologische Fachbücher schreiben. Vielleicht braucht er aber auch Hilfe.

Speedy