David Donachie – Im Windschatten des Schreckens 11/19

David Donachie – Im Windschatten des Schreckens

Literaturvorstellung November 2019

„Im Windschatten des Schreckens“ von David Donachie ist die Fortsetzung von „Klarschiff zur Höllenfahrt“. Der zweite Band der marinekriminologischen Serie um die englischen Brüder Ludlow erschien 1998 im Ullstein Verlag in deutscher Erstauflage. Von Uwe D. Minge überzeugend übersetzt, bieten sich dem Leser fast 500 Seiten mit Abenteuern an. Mögliche Seekarten, ein Glossar oder Nachwort fehlen leider.

Wieder sind die grundverschiedenen Brüder zunächst on tour und schnell auch wieder on fire! Harry Ludlow, ehemaliger Offizier der Royal Navy, erfolgreicher Freibeuter und prahlerischer Kriminologe ist das charakterliche Gegenteil von seinem Bruder James Ludlow. Dieser ist ein schöngeistiger, charmanter Maler und das Gegenteil eines lauten, kraftstrotzenden Seemanns. Er begleitet seinen Bruder notgedrungen, um vor den Folgen einer unglücklich verlaufenden Beziehung zu fliehen. Der Vater von Harry und James ist ein Admiral im Ruhestand. Beide Brüder sind sehr wohlhabend und daher in der Lage, sich einen ausschweifenden und herausfordernden Lebensstil zu leisten.

Ungezügelte Ausschweifungen in Genua

Worum geht es inhaltlich? Die Story in Ansätzen: Die Brüder erhalten von Admiral Hood einen vieldeutigen Auftrag, der bei Erfolg Harrys Reputation und einen neuen Freibeuterbrief bedeuten könnte. Im Freibeuternest Genua wird ein britischer Kapitän mysteriös aufgehängt aufgefunden. Eine französische Slup liegt im Hafen. Der Handelsvekehr im Mittelmeer ist von Freund und Feind gestört. Die Brüder sollen aufklären, aus Dunkel Hell machen. Sie lernen finstere Personen kennen und ein ausgeklügeltes Ränkespiel bleibt lange undurchschaubar.
Wenigstens zwei Kaperkapitäne rivalisieren um Profit und um einen schnellen Segler. Mehrfach werden die Brüder angegriffen. Ein alter, blinder Kaufmann und seine wunderschöne junge Tochter spielen auch eine Rolle. Ein genuesischer Admiral will auch seinen Profit einstreichen. Es wird also geblufft, gemordet, gelogen, gegrinst, geliebt, gekämpft und geprügelt.
James Ludlow wird verwundet, damit ist er zunächst heraus aus den Geschehnissen in Genua. Ein Rattenwettkampf ist Anlass für ein makabres Wettspiel, später wird aus diesem Spiel blutige Ernst. Üble, fiese tortura!
Nach 374 Seiten bunter Handlung wird die Story dann marinelastiger. Harry schult seine Seemannschaft und sucht die Auseinandersetzung mit vier Widersachern und deren kleinen Bötchen auf See. Zunächst erweist er sich als schlauer Fuchs, wird dann aber selber ausmanövriert…

Ein Besserwisser und ein tolpatschiger, malender Landlubber – Harry & James Ludlow

Der Autor von „Klar Schiff zur Höllenfahrt“ hat sich weiterentwickelt und die Story ist diesmal immer spannend, nachvollziehbar und bleibt überschaubar. Ein flotter Marinekrimi in der Tradition eines W. Perkins. Das ist recht gut, nicht sehr gut, aber durchaus lesenswert. Woran liegt das? Zunächst insgesamt daran, dass David Donachie hier einen Stoff flüssig bändigt, der zunächst unüberschaubar anmutet. Eine verwirrende Wuhling wird Stück für Stück aufgeklart.

So wie sich die Ludlow-Brüder im Roman verhalten, so macht es auch Donachie – verweigert seinen eigenen Figuren gegenüber den Respekt. Das macht die Individualität der Figuren luftig und humorvoll. James z.B. „…hatte nicht mehr das Temperament einer Bulldogge wie sein älterer Bruder“ (S.22). „…Doch in Harry schien eine verborgenen Stärke zu stecken, die James zu fehlen schien, eine physische Präsenz, gepaart mit der langen Erfahrung eines Seemannslebens, aber mit einem gewissen Mangel an Kultiviertheit“ (S.22). James über Admiral Hood: „Und ich wage zu vermuten, daß sie sich als jovialen alten Burschen sehen, voller Witz und herbem Charme“ (S.23).

Zur Unterschiedlichkeit der Charaktere der beiden Brüder formuliert Donachie: „Harry lächelte, und zum erstenmal dachte er an James, der in einer Situation wie dieser akzeptiert hätte, daß sein Bruder wußte, was er tat, und ihn nicht mit seinem spitzfindigen Pessimismus belästigt hätte, mit dem er ihn in Genua so genervt hatte“ (S.389).

Die Ludlowschen Frechheiten eines Harrys und James‘ feinsinnige, offen artikulierte Grenzüberschreitungen führen die Brüder immer wieder in Erklärungsnot und Bedrängnis. Mit einem arroganten Offizier muss / will Harry sich duellieren. Es ist eine Demütigung für den Offizier, dennoch ist der Kampfstil von Harry nicht gentleman-like. Trotzdem lustig!

David Donachie fängt auch in diesem zweiten Band deutlich sensitiver ein, wie es z.B. in einer verkommenen Hafenstadt oder in einem Bordell riechen könnte. Auch landestypische Gerüche und Geräusche sind feinnervig eingefangen. Das erreicht schon fast das Niveau von Dudley Pope.

Auch schön formuliert: „Die Wände und Decken waren ein Feuerwerk von Farben, Fresken, die von vergoldeten Kranzleisten eingerahmt wurden, zeigten tanzende Nymphen, Götter, die spielten, und vorwärtsspringende Tiere; das alles wurde von einer milden Gottheit betrachtet“ (S.171).

Die inhaltliche Respektlosigkeit der Ludlow-Brüder hat Methode. Hier kriegt Donachie besser die Wende als in der Auftakterzählung. Hier wirkt es fluffig und leicht. Das ist diesmal gelungen. Dennoch nerven auch beide Brüder. Ein Besserwisser und ein tolpatschiger, malender Landlubber; dennoch beide anfeindbar und auch verletzlich. Die Royal Navy hat inkompetente Offiziere, die Saufen und Hurerei zulassen oder einen verschmitzten Admiral Hood. Hier finden sich vielleicht auch autobiografische Erfahrungen und Enttäuschungen Donachies wieder.

Erzähltechnisch finden wir eine gekonnte, auktoriale und personale Erzählkonstruktion vor. Gut erzählt, feine Formulierungen und gute Beobachtungen lassen einen Lesefluss entstehen. Gelungen!

Die Gestaltung eines Heldenpaares mit diametralen persönlichen Gegensätzen in Handlungskompetenz, Wissen und Rhetorik ist nicht neu, aber unterhaltsam. Kenner der Materie denken sofort an Aubrey und Maturin. Dieses Pärchen bleibt jedoch das Maß konvergierender Antipoden, genauso wie der Humor bei Patrick O’Brian.
Aber Donachies Brüderpaar versucht sich auch gewinnbringend für den Leser die Abenteuer aus unterschiedlichen, gegensätzlichen Perspektiven zu erschließen. Gut ist das und auch erfreulich für uns Leser. Diesen Band zu lesen hat sich gelohnt.

1. Lord