Richard Woodman – Die Drinkwater-Reihe 12/17

Literatur-Vorstellung Dezember 2017:

Richard Woodman – Die Drinkwater-Reihe

Richard Woodman ist ein alter Seemann; er fuhr sechs Jahre bei der britischen Handelsmarine zur See, zuletzt als Navigationsoffizier. Danach war Woodman dreißig Jahre beim Trinity House in der Leuchtfeuerverwaltung für England, Wales und die übrigen britischen Hoheitsgewässer tätig, bevor er dann im Rang eines Captains vorzeitig in den Ruhestand ging, um sich ganz der Schreiberei zu widmen, sowie zum Beispiel der hier beschriebenen Drinkwater-Reihe.

Trifft eine derartige langjährige maritime Erfahrung auf ein hohes Maß an schriftstellerischem Talent, muss einfach so etwas Gutes wie die vierzehnbändige Romanreihe um den fiktiven Seehelden Nathaniel Drinkwater dabei herauskommen. Nun gibt es wahrlich viele maritim-historische Buchreihen (auch wenn man speziell in diesem Forum der Meinung ist, dass es davon nie genug geben kann…). Aber es gibt nur wenige, die es qualitativ auf das Niveau dieser vierzehn Bücher bringen.

Da ist zum einen das profunde Fachwissen des Autors. Da werden Segelmanöver in allen Einzelheiten beschrieben, und im Vergleich zu manch anderer Reihe wird nicht im jedem dritten Buch dieselbe Bramstenge (und dann auch noch mit denselben Sätzen) gestrichen; in lockerem Ton werden einem die Geheimnisse der Navigation nähergebracht. Dazu kommt ein gründliches Studium der damaligen Geschichte; alle Erzählungen haben einen konkreten historischen Bezug und sind logisch und durchaus glaubhaft in tatsächliche Geschehnisse eingebunden.

Auch die Qualität der Beschreibung der vielen zwischenmenschlichen Probleme an Bord und an Land und vor allem deren Auflösung geht durchaus in die Tiefe; man hat nie das Gefühl, dass der Autor versucht, eine Situation, in die er sich selbst hineingeschrieben hat, durch einen schnellen Tod eines Protagonisten zu lösen. Dennoch wird sehr viel gestorben; man tut beim Lesen gut daran, sich nicht allzu sehr emotional an bestimmte Charaktere zu binden.

An den extrem hohen literarischen Standard eines Patrick O’Brian reicht Richard Woodman nicht heran, aber er kann sich durchaus mit C.S. Forester, dem „Urvater“ des Genres, messen; und die konsequente Beschränkung auf vierzehn Bände schützt ihn davor, in die Kent’sche Depressionsfalle späterer Bolitho-Bände zu tappen.

Die meisten Bände wurden von Uwe D. Minge übersetzt, ebenfalls einem ehemaligen Fahrensmann, dessen Biographie der von Woodman nicht unähnlich ist. Und auch Minge fing später an zu schreiben (siehe hier)​, war auch hier in diesem Forum aktiv, ehe er für immer von uns schied.

Die Drinkwater-Reihe

Zur Handlung selbst, ohne jedes Buch einzeln zu rezensieren: Die Abenteuer von Nathaniel Drinkwater spielen hauptsächlich zwischen 1779 und 1815. Drinkwater wird uns im ersten Band als 13-jähriger Midshipman auf seiner ersten Fahrt auf der Fregatte Cyclops vorgestellt. Wie in anderen vergleichbaren Romanreihen auch hat er mit den üblichen Anfangsschwierigkeiten zu kämpfen, insbesondere mit einem tyrannischen Messeältesten bei den Fähnrichen. Hier heißt der Kerl Morris und wird unserem Helden auch in einigen späteren Büchern immer mal wieder unangenehm über den Weg laufen. Drinkwater bekommt natürlich auch Gelegenheit, sich auszuzeichnen, allerdings geht es mit der Beförderung zum Leutnant nicht so schnell wie man vielleicht erwartet.

Es ist ein langer Weg, bis er endlich Vollkapitän wird, und das bleibt er auch bis hin zum letzten Band. Den einzigen eigenen Wimpel darf er zeitweilig mal als Kommodore eines sog. „Fliegenden Geschwaders“ im gleichnamigen elften Band der Reihe setzen. Auch das liest man in anderen Reihen anders, da geht es oft bis zum Admiralsrang.

Und noch eine Besonderheit weist die Karriere von Drinkwater auf: Der Erste Offizier auf Drinkwaters erstem Schiff erkennt früh die Talente des jungen Midshipman und protegiert ihn, als er an Land geadelt und Chef des Marinegeheimdienstes wird. Dadurch hat Drinkwater, als er endlich eigene Kommandos bekommt, das Glück, kaum in den langweiligen, aber dennoch so wichtigen Blockadedienst eingebunden zu sein, sondern ist, zumeist auf sich allein gestellt, rund um den Globus in geheimdienstlichen Missionen unterwegs.
Gleichwohl nimmt er aber auch an wichtigen Schlachten des Age of Sail teil: So ist er u.a. als Kommandant eines Mörserschiffes bei Nelsons Sieg vor Kopenhagen dabei, und tragischer Weise als Gefangener auf der Bucentaure, dem Flaggschiff des französischen Admirals Villeneuve, vor der Seeschlacht bei Trafalgar. (Die Beschreibung der Rückreise des in der Schlacht arg beschädigten französischen Flaggschiffes und des Versuches, die Bucentaure zu retten, ist übrigens für mich eines der absoluten Highlights der gesamten Romanreihe. Nachzulesen in „Die Wracks von Trafalgar“.)

Einige Handlungsstränge ziehen sich über mehrere Bände und bergen oftmals echte Überraschungen in sich. Und im Gegensatz zu manch anderem Roman-Seehelden beschränkt sich das Thema „Affären“ bei Drinkwater auf eine einzige kurze Episode mit einer Witwe in der Neuen Welt.

Spannungstechnisch völlig klar, aber nach dem Lesen verschiedener solcher Romanreihen dann doch etwas gleichförmig ist nahezu in jedem der Romane am Ende immer eine finale Seeschlacht mit einem gewöhnlich viel stärkerem Gegner, die dann nach oftmals äußerst brutalem Kampf und hohem Blutzoll dennoch gewonnen wird. Das ist vielleicht der für mich in der Gesamtschau der einzige wirkliche Kritikpunkt. Aber vielleicht fällt einem das ja auch nur dann auf, wenn man, so wie ich, in den zurückliegenden Wochen, die komplette Romanreihe in einem Stück gelesen hat.

Insgesamt gehört die Drinkwater-Reihe für mich mit zum Besten, was es an deutschsprachiger maritim-historischer Literatur über die Zeit des Age of Sail gibt. Wer Spaß an spannenden Abenteuern zur See hat, wird hier genauso bedient wie der, der es genießt, sehr detailreich und zugleich höchst unterhaltsam die verschiedensten Segelmanöver und nautischen Zusammenhänge beschrieben zu bekommen. Ebenso wird auch der historisch interessierte Leser seine Freude an den Geschichten unter dem Blickwinkel „Vielleicht ist ja so etwas tatsächlich passiert, möglich wäre es allemal“ haben.

Bonden