Beiträge von 1.Lord

    Nach einem mäßigen Tiefgang im Dialog zwischen R und seinem Vorgesetzen "Dann ficken sie sich doppelt!" - Ohne die Miene zu verziehen! Das ist weder witzig! Weil der Nordstaaten-Vorgesetzte gerade vom Tod seiner Ehefrau offenbart hat. Das ist auch gar nicht ironisch - der Muskelmann - Reacher - no nonverbale Regungen - ist so gar nicht witzig, weder lustig, noch zotig, noch intelligent zynisch - eine einzige dumme Muskelmaschine... Ich schaue denn mal weiter...

    Denkt mal an 'True Detectives' - ich meine die erste Staffel?

    Die ist so gut!!!!!!!!!!

    Und?

    Ich schaue gerade JETZT weiter bei reacher - soo langweilig.

    Musik toll - aber nicht eingebunden in den Plot!! ???

    Da ist erwieder - der Muskelmann, der nur darauf wartet - wie wir Zuschauer - dass er wieder 2-6 Agressoren klar macht...

    Ich kenne die Romane nicht.

    Was für ein aufgeblasener Gockel! Protein-Produkt. Diesen Reacher kann ich kaum ertragen, der ist ja noch schlechter als der Tom!!! Für mich: Schlechter geht es nicht! Unüberwindbar - gehört zu Marvels Superhelden - ätzend! Dumme Fresse! Sagt Dinge aus dem Drehbuch - die hätte er niemals aus seinem Kopft bekommen...

    Musik - gut.

    Chief - gut. (Hitze der Nacht - habe ich auch erinnert!)

    Kollegin - gut.

    Ich schaue weiter - bin ja nicht am Abschluss...

    Der 1976 geborene Assistenzprofessor für Psychiartrie in Stanford, Daniel Mason, legt mit 'Der Wintersoldat' seinen zweiten Roman von immerhin 430 Seiten vor, der in zahlreiche Sprachen übersetzt wurde und 2018 erschienen ist.

    Ein fulminanter, großartiger Roman, der trotz seiner Seitenanzahl keine Längen und Hänger kennt. Ein grandioser Lesesog erfasst dich als Leser, und du fragst dich, warum dir bisher dieser wirklich große Roman nicht aufgefallen ist, der von der Kritik gefeiert und keine Vergleiche scheuen muss. 'Der Wintersoldat' hat die Wucht von 'Doktor Schiwago' und die Zärtlichkeit von 'Der englische Patient' (R. Brogsitter, Bayern 5).

    Ein Wiener Medizinstudent mit polnischen Wurzeln meldet sich nach Ausbruch des 1. WK freiwillig und landet im eisigen Winter 1914 in einem Behelfslazarett in Galizien in den Karparten (klirrende Kälte, viele Erfrierungen und winterliche Landschaften). Eine junge Nonne lehrt ihn die Grundlagen medizinischer Versorgung (Amputieren, Nähen, Schneiden, Sägen...) und die Grundlagen von menschlicher Feinfühligkeit in Zeiten der Apokalypse. Ja - auch eine Liebesgschichte! Mit einem überaus besonders schwer traumatisierten Soldaten setzt sich ein äußeres und inneres (!) Drama fort. Das Weltgeschehen bestimmt die Lebensläufe der Protagonisten über Lebensjahre; Verlust, Sehnsucht, Suche und Verzweiflung sind die schmerzlichen Folgen.

    Die Handlung ist aus einem Guss, ein gestaltetes Drama mit Höhepunkten und Wendungen und Überraschungen bis zu einem gelungenem Schluss ohne Pathos und kitschigem Klischee.

    Die Gestaltung des historischen Weltgeschehen an der Ostfront hält den Vergleichen mit den ganz großen Romanen über und zum 1. WK locker stand (Remarque, Falks, Renn u.a.).

    Ein gekonnt erzählter großer Roman mit auktorialer Erzählperspektive, durchsetzt mit überraschend feinem Humor an dafür passenden Stellen (das Röntgen einer Meerjungfrau, Dinnieren mit Mme. Curie und der vertrockneten Meerjungfrau-Leiche unter dem Restaurant-Tisch!).


    Weihnachten 2021 in zweiten Corona-Winter. Schnee ist gefallen im Norden, Ruhe ist eingekehrt. Das Leben bleibt eingeschränkt. Zeit für die Lieben, für die stimmigen Lektüren, für den Jahresausklang.


    Es klingt noch - aufwühlend und ruhig.


    Ein feines Lese-Erlebnis erster Güte.


    "Wenn wir allerdings in Analogien denken, kommen wir zu dem Ergebnis, daß Antimon die Kanone sozusagen ihre Kugel auskotzen lassen müßte und zwar mit mehr Wucht als gewöhnlich." (POB 'Die Inseln der Paschas', München 1998, S.66)

    Zum wiederholten Male lesen sich die vortrefflichen Werke von Patrick O'Brian.

    An dieser Stelle erfreuen wir uns an seinem einzigartigen, besonderen und hintergründigem, sogar manchmal zynischem Humor.

    In seinen vielblättrigen Werken finden sich immer wieder Textpassagen, die seine Leser ob ihrer Besonderheit ein Lachen oder Lächeln oder eine verschmitzte Geste ermöglichen. Hier ist ein Platz, dass du deine Freude an diesen Textstellen mit allen teilst. Wohlan!

    OOOhhhh Jaaaah - Farquhaaar!!!

    Stendal ist mir wohl bekannt. Ich habe ihn vor langer Zeit sehr genossen. Die Chartreuse auch und gleich hinterher noch Le rouge et le noir. Das sind Klassiker des französischen Realismus. Aber meistens spielen die analytisch interessanten Romane doch eher in der Nach-Napoleon Zeit. Aber genieße es. Toller Lesestoff, wohl eher nicht ganz so rasant wie Perry Rhodan. Weniger Space, dafür mehr Sägemühle!

    Seit Frühjahr 2021 habe ich den Belgier GEORGE SIMENON für mich entdeckt, der der meistgelesene, meistübersetzte und meistverfilmte Autor des 20. JHD. ist. Zunächst ist natürlich Kommissar Maigret in wohl jeder Erinnerung, auch durch die unzähligen, oft leider auch mittelmäßigen Verfilmungen. Neben seinen 75 Maigret Romanen existieren aber 117 roman durs, also Romane mit unterschiedlichen Themen. DIESE Romane sind hervorragend - h e r v o r r a g e n d - !!!

    Ich habe 12 Maigrets gelesen, die sind auch literarisch richtig gut. ABER die roman dur(s), die möchte ich jedem und jeder sehr ans Herz legen. Die sind GRANATE.

    Ich nenne mal ein paar Titel, die ich verschlungen habe: Tropenkoller, Der Uhrmacher von Everton, Striptease, Das blaue Zimmer, Der Mann, der den Zügen zusah, Sonntag....

    Der schweizer Kampa-Verlag verlegt alle Simenons neu. Die bibliophilen, gebundenen Ausgaben liegen sooo gut in der Hand, sehen echt schön aus. Und! Die Romane sind nur bis zu 300 S. lang oder kurz. Kein Wort zuviel. Sehr dichte Atmosphären. Tragische Menschen im spannenden Leben.

    Los! Lies! s3

    Als Kieler liebe ich natürlich die OSTSEE.

    "Stephens Magen hatte dem Atlantik, dem Pazifik un dem Indischen Ozean getrotzt, doch die Ostsee war drauf und dran, ihn zu bezwingen. Er mußte sich zwar nicht übergeben, aber er versprürte einen kalten, gesteigerten Speichelfluß und einen Widerwillen gegen jede Gesellschaft, gegen jede Form von Spaß oder Scherz, und der bloße Gedanke an Essen war ihm unerträglich. Bestimmt lag das an dem ekelhaftem Fisch von gestern, sagte er sich. Aufgeplatzter Fischkadaver konnte alle möglichen schädlichen Stoffe übertragen, nur ein Narr aß so etwas..."

    (3/2004, S.236f.)


    Kleines Meer - große Wirkung! Herrliche Passage!

    Schnäppchen auf einem Grabbeltisch bei örtlichen Discounter!

    Bis ans Ende der Meere von Lukas Hartmann

    Hartmann, Jahrgang 1944, Germanist, Psychologe, Journalist, lebt in Bern.

    Ein Roman um den Zeichner und Maler John Webber, der mit dem Dreimaster Resolution unter Cook vier Jahre um die Welt und vor allem in der Südsee segelt.

    Als Vertrauter von Cook ist wohl ein Roman zu lesen mit dem klassischen Repertoire aus Abenteuer, Liebe und Historie unter Segeln.

    Das lässt mich zum Buch greifen und beizeiten es hier vorstellen.



    Aus dem Klappentext: Im Juni 1776 schifft sich der junge Zeichner John Webber in Plymouth (England) zur dritten Weltumsegelung auf dem Dreimaster ›Resolution‹ ein. Kapitän ist James Cook. Webber quartiert sich in der Kajüte ein, in der Georg Forster auf Cooks zweiter Weltumsegelung Tagebuch führte. Webber wird zum Vertrauten von Captain Cook, stirbt beinahe und begegnet seiner großen Liebe. Vier Jahre später kommt Webber zurück, gezeichnet von den Strapazen der Reise. Die Sehnsucht nach der Südsee wird ihn nie mehr loslassen. Captain Cook, der aufgebrochen war, um die Nordwestpassage durchs arktische Eis zu finden, kehrt nicht heim. Was war geschehen? Ein spannender historischer Roman um den rätselhaften Captain James Cook und zugleich die Entwicklungsgeschichte eines jungen englischen Malers mit Schweizer Wurzeln.


    1.Lord das Buch wurde schon einmal vorgestellt.😉


    Guckst du hier

    Das Buch ist absolut großartig! Segeln in den Prielen der Nordsee um die ostfriesischen Inseln. Und dann der großartige Plot! Wunderbar! Die Verfilmung ist etwas langatmig und klares 80er Jahre Styling (Ist ja wieder IN! oder marschalleng wie meine Tochter sagen würde!).

    Es gibt auch einen Nachfolge-Roman, den wir hier auch noch nicht vorgestellt haben. Sam Llewellyn 'Tödliches Watt'

    Aga: gleich hinterher!

    Viel Vergnügen! Ich bin auf deine Anmerkungen zu Childers gespannt!

    Sicher ist Stephen in vielen Belangen ein guter Mensch , aber er ist bei aller Sensibilität auch ein ziemlicher Zyniker.

    Da bin ich bei dir, da gehen wir zusammen. Der Zyniker Maturin ist ein VERLETZTER. Er will sich nicht abfinden mit der andauerenden politischen Situation. Daher: All against Napoleon. Er will sich nicht damit abfinden, dass er sich trotz erlebter Zuneigung durch Diana immer wieder einen Korb von ihr einfängt. Er will doch mehr als ein vertraute Schwester. Immer wieder lässt er sich als Liebender vor den Kopf stoßen. Er will sich nicht damit abfinden, dass der Dienst für den König, dem auch er mit Leib und Spionage vorzüglich dient, mehr Wertigkeit hat als die naturkundliche Erforschung der Welt.

    Als Verletzter will er sich nicht abfinden mit den Gegebenheiten und entwickelt einen bissigen (und oft herrlich komischen) Zynismus.

    Die (höchste) Aufgabe des Menschen könnte nach HEGEL sein, sich mit der Welt zu VERSÖHNEN. Ich sehe Stephen genau immer wieder auf diesem Weg. Deswegen lässt er auch trotz so vieler Enttäuschungen nicht wirklich nach. Wir folgen seiner Versöhnungssuche so gerne über die 20 Bände, auch wissbegierig darauf, ob er diese Aufgabe bewältigt und die Suche erfolgreich verläuft.

    Als Wiederholungsleser wissen wir um seinen einzigartigen Weg, auf dem wir ihn gerne begleiten und sein Ergebnis, das wir ihm gönnen.

    Die wundersame Welt der Fauna und Flora des Dr. Stephen Maturin

    oder die 'Vermählung zweier weit entfernter Welten'

    zu Inhalten und Gestaltungsmotiven in P.O'Brians Romanserie


    In Geheimauftrag Mauritius, dem 4. Band von P. O'Brians marinehistorischen Serie findet sich folgender Passus:

    "...Auch war er auf drei Viertel einer weiblichen Tüpfelhyäne gestoßen und hatte das restliche Viertel, noch mit dem gemein grinsenden Kopf daran, nicht weit entfernt gefunden, wo es einer seiner alten Freunde, ein Bartgeier, gerade zu verschlingen suchte. Stephen dünkte dies eine hübsche Synthese aus Vergangenheit und Gegenwart, eine Vermählung zweier weit entfernter Welten..." (POB, Ullstein 4/2006, S.92).


    Patrick O'Brian veröffentlichte diesen Mehrteiler von 1970 bis 2004, sein Tod beendete vor 17 Jahren die Fertigstellung seines Opus magnum.


    Skurril, besonders, verschroben und in jedem Falle schmunzelnd mutet es an, dass uns Patrick O'Brian in seinem einundzwanzigteiligen marinehistorischen Vielteiler mit seinen zwei brüderlichen, doch so unterschiedlichen Männern Jack Aubrey und Stephen Maturin bekannt macht. Für jeden von beiden hat er ein lachendes, ein lächelndes Auge übrig. Beide leben oft eng zusammen, und wir lernen sie kennen zu Beginn des 19. Jahrhunderts.


    Für uns heute wahrlich eine wohl sehr entfernte Welt. Setzte man sich in weniger weit entfernten Zeiten in den 1970er Jahren in den Geisteswissenschaften u.a. gerne mit Polaritäten, Gegensätzen oder dialektischen Fragen auseinander (In jedem Ying ist etwas Yang!), so ist man heute in den 2020er gerne in verschiedenen parallelen Welten unterwegs, die auch nicht immer zusammenhängend gedacht werden können, müssen, dürfen. Ein Hoch den konstruktivistischen Ansätzen, die jedem/jeder von uns heute unseren maximal individualistischen Blick auf die vielen Welten erlauben und diese konstruieren.


    Aber zurück zu Stephen und Jack. Allen Fans der Serie an Herz gewachsen, allen eher distanzierteren Genießern nicht weniger positiv in Erinnerung und denjenigen, die O'Brians Reihe wenig oder gar nicht zusagt, die sollten jetzt hier sowieso nicht weiterlesen; Stephen und Jack verkörpern zwei Welten in der einen Welt des beginnenden 19 Jahrhunderts. Das hat sich O'Brian fein ausgedacht, denn in Gegensätzen zeigen sich die Eigenheiten der jeweiligen Pole besonders deutlich.

    So weit - so gut!


    Wir haben einerseits vordergründig einen promovierten Naturwissenschaftler, einen Humanmediziner, einen unsportlichen, eher asketischen, reflektierenden, forschenden, sezierenden, sammelnden, weltfremden Stephen, der hintergründig seine Spionagetätigkeit, und Mehrsprachigkeit und sein z.T. lexikalisches Wissen geschickt oft perfekt tarnt. Und anderseits ist uns Jack vertraut, ein ambitionierter Marineoffizier, der taten- und getränkedurstig keine Mahlzeit und kein Gefecht auslässt, der einen Kanonen- und Breitseiten-Fetisch frönt, der sich mit keiner Bettkante oder platonischer Liebe zufrieden gibt und der Pflicht für seinen König sein Leben unterordnet. O'Brian kreiert ein gegensätzliches 'verbrüdertes' Freundespaar, der eine eher apollinisch, der andere eher dionysisch. Nietzsche hätte seine Freude gehabt. Hesse auch. Wir haben sie - die Freude mit den Freunden.

    So weit - so gut!


    Mit einem mutigen Helden kommen viele marinehistorischen Serien daher, das ist wahrlich nicht neu, in den 60er, 70er, 80er und auch 90er Jahre erscheinen viele maritime Reihen in der Nachfolge von C.S. Forester 'Hornblower'. Und auch das Motiv des etwas 'schusseligen' Partners, der durch seine besonders hervorgehobene Andersartigkeit die Güte des Helden noch poliert, ist keine neue Idee. Man denke nur an den botanisierenden Schmetterlingsjäger in den Karl May Verfilmungen um Winnetou etc. oder die beknackten Gegenspieler von Pippi Langstrumpf oder um im Genre zu bleiben die oft trotteligen Darstellungen von französischen Soldaten bei Pope.

    O'Brian gestaltet noch etwas völlig anderes, etwas so wohl eher selten dagewesenes. Seinen Helden Aubrey konterkariert er mit Maturin, der ihm in vielen Facetten nicht nur gleichgestellt, sondern überlegen ist. Seine Hintergründigkeit wird durch seine tolpatschige Außenwirkung erheblich verschleiert. Er ist ein tiefsinniger, zweifelnder, reflektierender Intellektueller, der in verantwortlicher Beratertätigkeit für die Krone oft erfolgreich spioniert und die politischen Geschicke und Strategien maßgeblich beeinflusst. Jack ist dann oft die Hand und Faust, der die Ränke in Gegenwart und Realpolitik verwandelt.

    Dass es immer wieder Konflikte zwischen beiden gibt, liegt auf der Hand. Was eben der Dienst, die Pflicht erfordert - was eben die Spionage, die Wissenschaft, die Forschung oder das Zwischenmenschliche erfordert. Und auch Schnittmengen sind geschickt gestaltet: Liebesbeziehungen zu verwandten Frauen, gemeinsam erlebte Abenteuer (Leben), Sternenkunde, auch vielleicht sogar letztendlich Moralität (?). In jedem Fall aber die Liebe und Leidenschaft zur und an Musik, am gemeinsamen Musizieren, nicht immer brillant, aber immer versöhnend und schwelgend.

    Bei der Darstellung der handfesten Handlungen, der alle LeserInnen liebenden Action um den Lucky Jack dominieren gerne auktoriale Erzählstränge und ein paar Briefe im Stil eines ehrlichen Seemanns in ungeübter Diktion (klassischer Postkartenstil!). Stephens Gedankenströme hingegen kommen manchmal unvermittelt montiert, mal in Tagebuchaufzeichnung oder Briefen daher. Die wunderbar gestalteten Dialoge machen die oft krassen Gegensätze beider Charaktere deutlich, ein funkensprühendes Feuerwerk hervorragend übersetzter Rhetorik. (Auch der Film 'Master und Commander' (2003) ist diesem Erzählen treu!).

    So weit - so gut!


    Es kommt noch etwas! O'Brian bedient sich noch eines inhaltlichen Gestaltungsmotivs, das wohl wirklich bisher nicht in dieser Form vorzufinden war. Es ist Stephens Vorliebe für die Fauna und Flora dieser einen Welt am Anfang des 19. Jahrhunderts. Die Leidenschaft für alles, was kriecht und fleucht und wächst und schwimmt und krabbelt und flappt und brütet und eierlegt, verspeist, reißt, kreischt und spinnt und brüllt und maunzt und furzt und klettert und flötet...

    Die Welt der beiden Helden ist noch nicht in Ansätzen erschlossen, erforscht oder gar systematisiert. 'Tausend neue Sachen, die gibt es überall zu sehen!" behauptet die Sesamstraße in den 70er Jahren des 20 Jahrhunderts. Das ist wohl sicherlich stimmig für Stephen Maturin.

    Mit einer Tüpfelhyäne und einem Bartgeier im Eingangszitat erwähnt, wird der neugierige Stephen verwöhnt, und wir LeserInnen staunen jederzeit, dass es diese Tiere überhaupt gibt, sofern wir Leser von marinehistorischen Romanen und weniger botanisierende oder zoologisierende Experten sind. Natürlich nehmen wir gerne teil an den besonderen Funden unseres Stephen und freuen uns mit ihm, leiden immer grinsend mit, wenn ihm seine Schätze/Funde wieder abhanden kommen. Genau in dieser naturwissenschaftlichen Detailverliebtheit bezogen auf die Artenvielfalt dieser Welt, die uns Lesern ja eben auch eher unbekannt ist, finden wir diese besondere Gestaltungsmotiv. Es brüllen die Kanonen auf See, Matrosen, Soldaten und Zivilisten sterben in den kriegerischen Auseinandersetzungen, die wunderbaren Segelschiffe versenken oder zerstückeln sich und ein forschender Gutmensch will der Menschheit/der Wissenschaft die Schönheiten und Besonderheiten der Schöpfung/Natur näher bringen.

    Hier Action mit 24-Pfündern - dort Käfer und Orchideen. Hier der zerstörende, politische Mensch - dort die unendlich vielfältige unentdeckte Natur. Doch auch dieser Gegensatz ist hinreichend bekannt.

    Aber O'Brian macht es für uns Leser elegant und tiefenwirksam. Er polarisiert nicht offen oder polemisiert oder politisiert und bewertet auch kaum. Nein, er konfrontiert uns Leser mit eben dieser wunderbaren natürlichen Vielfalt, die er zumeist in einem vorzüglichen Zusammenhang einführt oder sie mit den Personenhandlung oder dem erzählten Kontext ungewöhnlich verschweißt. Dazu benennt er sie gerne botanisch und zoologisch korrekt (auch mit den lateinischen Gattungs- und Über- oder Untergattungsbegriffen). Das ist fast immer überraschend und in diesem präzisen Überfall von eher seltenen Planzen und Tieren auf die Personenhandlungen steckt eine wunderbare, feine, lustvolle Komik. Tüpfelhyäne und Bartgeier eben!

    Wie herrlich überspannend (eigentlich zynisch) ist es dann, wenn aus den besonderen zoologischen Kuriositäten ungewöhnlich leckere Menü-Gänge der Offiziersmesse kredenzt werden. Als Beispiel kann ein Festmenü zu Ehren von Jack dienen: "Eine Woche später gab auch der Gouverneur der Kapkolonie ein Festessen zu Ehren Jack Aubreys. Bei ihm wurde Wild aufgetischt: Buntbock, Springbock, Steinbock, Klippspringer (!), Hartebeest (?), Weißschwanz-Gnu (!), aber nicht der kleinste Hummer."(Bd. 4, S.175).


    Es macht in diesem Zusammenhang besondere Freude einmal zusammenzustellen, wer und was einen einzelnen Roman der Reihe bevölkert und die Romanhandlung der Personen garniert. Hierzu habe den 3. Roman 'Duell vor Sumatra' von 1973 ausgewählt.

    Gerne begegnen wir Maturin im Konferenzraum der Entomologischen Gesellschaft. Über eine unbekannte Käferart, 1799 am Ufer von Pringeltjuxta-Mare entdeckt, soll ein Pastor referieren. Stattdessen referiert er über die Überwinterung der Schwalben in kornischen Zinnminen. Mehr Interesse erweckt jedoch ein Hirschkäferexperte (Ullstein, Berlin 4/2007; S.25f). Mit den 'Fährmanns', den aus altem Zwieback kriechenden Maden, wollen wir uns hier nicht aufhalten (S.44). Maturins Ratten fressen nur die besten Kekse, etwas angeweicht in zerlassener Butter, weil er sie für ein Knochenexperiment benötigt (S.123). Die fetten 'Müller' des Fähnrichslogis fressen nur Korn- und Erbsen. Die Offiziersanwärter vergreifen sich an Stephens Ratten und verspeisen diese. Das hat natürlich Konsequenzen. Schläge und Tränen. Für eine kurze Zeit strandet Stephen in seinem Paradies, einer verlassenen Vogelinsel, auf der er Schiffbruch erleidet, das Leiden aber darin besteht, dass er Aug in Aug mit Seevögeln (Tölpeln, Seeschwalben etc.) und Gliederfüßern aller Arten lebt. Gekochte Kacke ist sein einziges Getränk (S.161). Kaum gerettet, stellt er fest, dass sein Rattenexperiment (Farbstoff in den Knochen) zerstört wurde. Er ist geradezu erbost: "Es ist ja nicht das erste Mal, daß mir so übel mitgespielt wird: eine Apisviper bei Fuengirola; drei Mäuse im Löwengolf; und jetzt die Ratten..." (S.165). Seit Brasilien fährt auch ein Dreizehen-Faultier mit auf der Surprise, das gerne herumhängt und schläft, z.B. an einer dicken Trosse, die durch die Kajüte gespannt wurde (S.175). Nackt sitzt Stephen auf den Großrüsten und versucht eine Seeschlange mit einem Sacknetz zu fangen (S.220 f.). Bis er sie fängt, wird er beinahe von Wasserbüffeln auf einem Marktplatz zertrampelt (S.225). Beim Knochensammeln die Geier beobachten und die gelbschnäblige Pharao-Henne (S.229). In Indien reist man mit 30 Elefanten. Eine Python verschlingt ein Reh (S.262). Ob der Herr Norton ein Ornithologe sei, verneint Diana. "Nein,...er interessiert sich für Vögel". Objekt seines Interesses waren die Sandhühner. Wieder an Bord sitzt Stephen auf dem Ankerspill, "...aß eine Mangofrucht und beobachtete den spielenden Mungo, der sein Taschentuch in die Luft warf, es wieder auffing und offenbar zu Tode quälen wollte". (S.299f). Ein Paradiesvogel-Hahn mit prächtigem Federkleid verführt die Freunde zu einer köstlichen Erörterung über sekundäre Geschlechtsmerkmale (S.304). Flughunde mit eineinhalb Metern Spannweite (S.318). Die Testudo aubreii ist dann eine 1t schwere, monströse Landschildkröte, die Stephen mit Jacks Namen tauft (Das gibt es heute auch noch und gar nicht so selten! (z.B. Bursina borisbeckeri). Was für eine schöne Hommage an seinen Freund! (S.428).

    Der geneigte (Wieder-)Leser wird sich sicherlich an die eine oder andere Szene erinnern und erfreuen. Es ist mehr als reizvoll diesem dosierten und gekonnten Slapstick zu folgen. Er karamellisiert den auch immer bunten und vielseitigen und vielschichtigen Handlungsverlauf. Das macht einfach sehr gute Laune und provoziert zum Szenenapplaus. Das schmeckt süß und verlangt nach mehr. Doch dieses herrlich Süße musst du in allen Bänden herausdestillieren, indem du Patrick O'Brians Kunstfertigkeit in seinen Romanen immer wieder folgen darfst und mit seinen wunderbaren Helden in einer von vielen Welten Freude und Glück empfindest, vielleicht auch an der Vielfältigkeit einer von Vergänglichkeit und Zerstörung bedrohten Natur.

    Erneut erfreue ich mich an der Lektüre von 'Feindliche Segel'.

    Ich möchte hiermit an einer Textstelle nachweisen, dass sich POB verschiedener (moderner) Erzähltechniken bedient, die seine erzählerische Raffinesse belegen, eine vielfache Lektüre immer wieder lohnenswert macht und sein Erzählen als 'klassikertauglich' kennzeichnet.

    Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich die Verwendung verschiedener, (moderner) erzählerischer Techniken immer in ihrer Funktion einer inhaltlichen Bezogenheit hin als angemessen beweisen sollte. Eine erzählerische Qualität stellt sich immer dann ein, wenn Stilmittel nicht nur Selbstzweck sind, sondern den Inhalt quasi behandeln im Sinne von Verdeutlichung, Hervorhebung, Übertreibung, Raffung, Kommentierung, Ironisierung etc.


    Textstelle S. 389 (Ullstein TB, München 3.Aufl.2004)

    "Ebbe und Flut, wieder Ebbe und die Bucht von Cork, dann das Warten im Boot auf Mondlicht und schließlich ein starkes, flinkfüßiges Maultier im kahlen, ausgedörrten, unter dem Sonnenglast zitternden Gebirge, Zwergpalmen - und Senor Don Esteban Maturin y Domanova untertänigst die Füße des allgnädigsten Fürstabts von Montserrat küssend, die Ehre einer Audienz erbittend. Immer neue Windungen der weißen endlosen Straße, die menschenfeindliche Landschaft Aragons, eine grausame Sonne und Erschöpfung. Staub, ein müdes Herz - Zweifel. War Unabhängigkeit nur ein leeres Wort? Spielte die Form der Regierung überhaupt eine Rolle? Freiheit - aber wozu?

    Schließlich Abscheu, so überwältigend, daß Stephen sich gegen den Sattel lehnte und sich fast nicht zum Aufsteigen überwinden konnte. Ein Regenschauer auf der Maladetta und überall Duft von Thymian. Unter den Gewitterwolken die Spiralen der Raubvögel, höher, immer höher steigend. Kämpfen und Handeln, dachte er, für alles andere ist mein Geist zu verwirrt: eine Flucht, getarnt als Attacke.

    Dann wieder ein einsamer Strand, Lichtsignale draußen in der Bucht und die grenzenlose Weite von Himmel und See. Und abermals Irland, mit so vielen Erinnerungen hinter jeder Straßenbiegung. "Wenn ich die Last der Erinnerungen abwerfen könnte", sagte Stephen zu seinem zweiten Glas Laudanum, "bestünde für mich mehr Hoffnung auf geistige Genesung. Auf dein Wohl, Villiers, meine Liebe."


    Also spricht Stephen zu seinem Glas Laudanum. Mit den zwei letzten Sätzen wird deutlich, als was die vorangehenden Absätze zu verstehen sind. Dass er zu seinem Glas Laudanum spricht, ist an sich schon komisch (im Sinne von lustig!) ('einem Glas zusprechen'!!!). Aber hiermit ist festgelegt, wie der Leser zuvor manipuliert (gelenkt) werden konnte.

    Ein allgemeinwissender Erzähler lässt uns quasi von oben auf die Szene blicken. Stephen wandert in Aragon, wird vom Fürsten empfangen. Wahrnehmungen werden MONTIERT. Sein DENKEN wird dargestellt, seine ZWEIFEL, seine Sinnsuche in POLITISCHEN AKTIVITÄTEN. Der Leser darf in Stephens Kopf. Wir teilen seine individuellen, typischen Wahrnehmungen und sehen Raubvögel in Spiralen. Gedankenstrom fast schon, aber ausgewiesen (vom Erzähler als Denken). Wechsel in ERLEBTE GEDANKEN: "...ist mein Geist verwirrt: eine Flucht, getarnt als Attacke."

    Dann wechseln die Gedanken und Erinnerungen. Irland. Der stumme Dialog mit seinem Glas. Die Erkenntnis, an den Erinnerungen zu leiden, an den Liebschaften zu zerschmelzen (Inhalte).


    Diese kleine Textanalyse als kleiner beispielhafter Ausschnitt für POB kunstvolles, bewusst gestaltetes Erzählen. In 'Feindliche Segel' (und anderen Bänden der Serie) finden wir immer wieder auch die Tagebuchnotizen von Stephen, in der er seine Gedanken, Zweifel, Geheimnisse und Beichten dem Leser unmittelbar mitteilt. Ein weiteres, sehr gelungenes Stilmittel des Erzählers POB.

    Die zoologischen, anatomischen und botanischen Expertisen und Aktionen einerseits und die z.T. philosophischen Einsprengsel im dialogischen Erzählen formieren die Vielschichtigkeit der herausragenden Figur Stephen Maturin, in die der Autor liebevoll seine Zuneigung gestaltet hat. Teilweise garniert er diese Gestaltung auch mit (inneren) Monologen, Wahrnehmungsmontagen und direkt erlebter und indirekter Rede.


    Als Leser erlebst du Unmittelbarkeit in feinster Ausgestaltung. Du lebst in der Zeit von Jane Austen mit Jack und Stephen, du unterhältst dich mit den Figuren, du reist in England und Spanien und segelst von hier nach dort (hier: gerne im Mittelmeer, im Ärmelkanal und der Biskaya). Du wirst vom Büttel verfolgt und willst nicht in den Schuldenturm. Du bist fasziniert von einer unschuldig-reinen Sophie und einer sarkastisch-ironischen Diana. Du bist ein erstmals betrunkener Fähnrich, der den Captain anlullt und dafür übers Knie gelegt wird, und du bist so gerne ein Bewunderer von POB, der seine Romane für uns so authentisch gestaltet hat.