Ich bin überrascht, dass der Film hier teilweise Gefallen gefunden hat. Meine Erwartungen waren schon nicht unbedingt hoch, nachdem ich im Trailer Napoleon zu Pferd mit Säbel in der Hand eine Attacke habe reiten sehen, wie Russel Crowe in Gladiator.
Nun muss ein historischer Film für mich keine Dokumentation sein und mir ist bewusst, dass man Ereignisse verdichten muss. So stört es mich nicht, dass Marie Antoinette bei ihrer Hinrichtung lange Haare hat und Napoleon unter den Zuschauern steht, wie oft von „Fachleuten“ mokiert wurde, die sich als nächstes über Napoleons falsches Geburtsdatum aufregen, obwohl diese falsche Angabe tatsächlich in die Heiratsurkunde Eingang gefunden hat. Es stört mich auch nicht, dass die Pyramiden näher am Schlachtfeld sind, als sie es waren und ich sehe in den Kanoneneinschlägen auch nicht die Wirkung moderner Geschütze. Ich frage mich bei der Szene aber, warum Napoleon – der stets den wissenschaftlichen Aspekt des Ägyptenfeldzugs betonte – auf die Pyramiden feuern sollte, wenn die feindlichen Truppen – leider keine Reiterei, sondern Fußvolk, welches in der historischen Schlacht in etwa so weit von den Franzosen entfernt war, wie die Pyramiden – direkt davor stehen. Es ist eine dumme Szene und das charakterisiert den ganzen Film.
Man kann über historische Figuren und Ereignisse streiten und verschiedene Ansicht haben, eine historische Wahrheit, die so viele „Fachleute“ gern verteidigen, gibt es gar nicht. Aber der Napoleon von Ridley Scott und Joaquin Phoenix ist von der historischen Person doch recht weit entfernt. Als General hat er keine Persönlichkeit, als Liebhaber ist er einfältig und tumb. Wo ist der charismatische Anführer, der ein Volk, eine Armee und auch die Frauen begeistern konnte? Bei Phoenix hatte ich immer wieder das Gefühl, er würde seinen psychisch labilen Joker in ein historisches Kostüm stecken. Diese Kostüme kann man übrigens durchaus zu den Pluspunkten des Films zählen, sieht man einmal von Scotts Manie für Fahnen ab, bei der er es verpasst, den französischen Truppen vernünftige Adler oder den englischen Truppen bei Waterloo vernünftige Regimentsfahnen zu verpassen.
Aber zurück zu Napoleon. Soll diese seltsame Liebe zu Josephin tatsächlich sein einziges Handlungsmotiv sein? Eine solche Interpretation lässt nur wenig schmeichlerische Rückschlüsse auf den Charakter dieses Mannes zu. Schlimm ist aber vor allem, dass wir außer Napoleon und Josephine so gar keine greifbaren Figuren in dem Film haben. Zu Beginn kann Barras noch etwas Interesse erregen, aber später? Talleyrand wird einmal als interessante Figur angedeutet, verkommt aber auch zum Stichwortgeber für schlechte Witze. Eugéne de Beauharnais wird interessant eingeführt und sofort fallen gelassen. Napoleons Marschälle? Komparsen mit falschen Bärten. Wellington? Guckt wie Rocky Balboa in der 15. Runde. Wo ist die Eleganz und Würde, die Christopher Plummer dieser Figur einst geben konnte?
Hat Scott Waterloo gesehen? Oder die sowjetische Krieg und Frieden Verfilmung? Bis jetzt orientierten sich seine Historienverfilmungen ja gern an cineastischen Vorbildern. Gladiator variierte Der Untergang des Römischen Reiches, Königreich der Himmel und Robin Hood griffen Motive aus Els Cid auf, einschließlich Bildern der Schlachtszenen. Aber Napoleon? Ich erwarte keine hundertprozentige Authentizität, aber diese Szenen hatten nicht im entferntesten etwas mit napoleonischer Kriegsführung zu tun. Wo sind die präzisen Formationen, eleganten Manöver? Bei Scott preschen alle nur wie zwei Barbarenhaufen aufeinander ein. Ich weiß nicht, ob Austerlitz oder Waterloo schrecklicher war. Ich kann in dieser Inszenierung nicht mal etwas ästhetisches ausmachen, wie einige Kritiker. Es wurde oft darauf verwiesen, dass Scott in der Lage ist, schnell zu drehen, aber genau das sieht man gerade den Schlachtszenen an. Ihnen fehlt es einfach an Sorgfalt. Da heben Soldaten bei Austerlitz und Waterloo Schützengräben aus – die die Briten dann aber verlassen, um auf offenem Feld Karrees zu bilden – die Kavallerie reitet durch die eigenen Infanterieformationen durch. Die Heere marschieren direkt vor ihren Zeltlagern auf, wie im Reenactment, nur nicht zu weit weg vom Bierkasten… Von welchem Hügel faselt Napoleon bei Austerlitz, wenn seine Soldaten ständig ins Tal stürmen und wo ist die berühmte, mythische Sonne von Austerlitz, die Bondartschuk in Krieg und Frieden so schön eingefangen hat.
Auch die Struktur des Films ist unausgewogen. Es gibt in der ersten Hälfte zu viele unnötige Szenen – die Niederschlagung des Royalistenaufstandes hat keinerlei Erkenntniswert für den Film – und am Ende hin muss zeitlich so gerafft werden, dass das schiefe Historienbild endgültig ins trudeln kommt. Dazu gibt es einfach richtig dumme Dialoge. Napoleon greift die Briten bei Waterloo an, weil die sich im Landkrieg nicht auskennen? Man hätte seine Beweggründe in einer genauso langen Szene einfach, aber besser erklären können.
Alles in allem ein wirklich enttäuschender und dummer Film. Ich hoffe, Steven Spielberg macht es besser.