Richard Bolitho - Band 18 - Der Brander


  • Der Frieden von Amiens ist ausgebrochen, aber Vizeadmiral Bolitho wird keine Ruhepause gegönnt, obwohl seine Frau Belinda ein Kind erwartet.
    Mit einem alten 64er wird er in die Karibik geschickt, um eine Insel an die Franzosen zurück zu geben, was ihm eigentlich fürchterlich gegen den Strich geht.
    Noch bevor er vor Ort ist, wird ihm klar, dass auch andere nicht mit einer Rückgabe an Frankreich einverstanden sind.


    Der Roman thematisiert, was auch bei anderen Autoren immer wieder kritisch hinterfragt wird, die Rückgabe von eroberten Gebieten als Teil der Verpflichtungen
    aus dem Friedensvertrag von Amiens. Alexander Kent hat sich des Themas direkt angenommen und das Resultat ist eine recht gute Story, die auch gut überlegt ist.
    Anhand der fiktiven, aber strategisch sehr wichtigen Insel San Felipe entwirft er ein Bild unterschiedlicher Machtinteressen, zwischen die Bolitho mit seiner
    Ein-Schiff-Flotte gerät. Da sind natürlich die Franzosen, denen die Insel zurückgegeben werden soll. Da ist aber auch der Gouverneur der Insel und die inzwischen
    britische Bevölkerung (ok, das ging sehr schnell), die das nicht wollen. Außerdem sind da auch die Amerikaner, die gern Ruhe auf ihrem Hinterhof hätten und auch nicht
    abgeneigt wären, die Insel unter ihren Schutz zu stellen. Und schließlich ist da noch ein namen- und gesichtsloser Feind, der mit äußerster Brutalität vorgeht.


    Wer jetzt befürchtet, hier ginge es nur um Politik, kann beruhigt werden. Die Action, je blutiger desto besser, kommt nicht zu kurz, auch wenn es wenig glaubwürdig erscheint,
    dass ein ausgewachsener Admiral selbst im Dreck der vordersten Front liegt. Aber um das aus seiner Sicht plausibel zu machen, hat ihm Kent ja auch nur ein Schiff
    gegeben. Obwohl Bolitho werdender Vater ist, kommt auch hier die Liebe nicht zu kurz. Diesmal wird dieser Part aber ausnahmsweise von Adam Bolitho (ja, er ist adoptiert worden)
    übernommen. Dazu nur eine kurze Bemerkung. Über die Liebe schreiben konnte Douglas Reeman nicht. Das hat er nie gekonnt, obwohl er sich wahrscheinlich für
    einen begnadeten Liebesromanschreiber hielt. Sorry, Douglas, das warst Du nicht. :love:
    Aber auch fachliche Schnitzer hat er sich wieder einmal erlaubt. So wird Valentin Keen vor dem letzten Gefecht aufgefordert, seine Leute erstmal in die Messen zu schicken, damit sie
    mit vollem Magen kämpfen können. Messen zu dieser Zeit für die einfachen Matrosen und Unteroffiziere! Dabei weiß doch jeder, dass man das Frühstück damals grundsätzlich
    auf dem Lido-Deck servierte!


    Gerade fällt mir auf, dass ich mal wieder ganz schön viel gemeckert habe. Aber das sind halt Kleinigkeiten, die mir beim Lesen auffallen und micht ärgern.
    Trotzdem liest sich das Buch sehr gut weg und hat :4*: redlich verdient

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Bolitho ist für mich einfach nicht mehr das, was er früher (bis vor 20/25 Jahre) für mich war.

    In einem Absatz werden Monaten überspringen und dann die Gespräche nachgeholt, die vorher fällig (und manchmal angekündigt waren), Vergehen der Zeit ist auch in Gefechten für mich manchmal schwer nachzuvollziehen, wenn es sich nach Sekunden oder Minuten liest, aber angesichts der bereits abgefeuerten Breitseiten viel mehr sein müsste, und an einer Stelle auch erwähnt wurde, dass etwas schon eine Stunde her ist.

    Der deutsche Titel entbehrt ein wenig der Grundlage, zwar gibt es einen Brander, aber dessen Auftreten (und benötigte Seitenzahl) erklären Titelgeber eigentlich nicht, und so immens wichtig ist er auch nicht.

    Das ist übrigens einer der wenigen Bolithos, in denen das Blut nicht aus den Speigatten läuft, als würde ...

    Weil dann die Handlung durch ist, aber so der ganz große Höhepunkt in Form des üblichen Gefechts am Ende fehlte, kommen noch 50 Seiten, in denen er gleich 3 feindliche Schiffe besiegen darf, nachdem Bolitho (im Gegensatz zum französischen Admiral) schon weiß, dass der Frieden schon wieder zu Ende ist.

    Vor allem finde ich diese immense Heldenverehrung Bolithos anstrengend, weil dies auf Kleinigkeiten beruht, die ich für allmählich überbetont und nicht so großartig halte, wie es Bolithos Anhänger tun, statt dass er der mitreißende Anführer ist (bei Ramage klappt diese Darstellung besser in meinen Augen).

    Ich meine, ich hätte diesen Band früher richtig gut gefunden, aber jetzt musste ich mich leider schon auch durch den durchquälen.

  • Immer wieder interessant, wie sich die Rezeption eines bekannten Werkes mit der Zeit verändert.

    Was man früher mit Neugier und Begeisterung aufgesogen hat, kommt einem heute zäh und unglaubwürdig vor (mag natürlich zur Zeit auch mit der sowueso gedämoften Stimmung zusammenhängen).


    Vielen Dank für eine weitere Sichtweise auf die späten Bolitho-Romane.

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.

  • Zwei Faktoren muss man bei der inzwischen etwas kritischeren Betrachtung berücksichtigen. Fast jeder, der heute Bolitho liest, tut es wieder und ist durch das qualvolle Spätwerk übersensibilisiert. Außerdem hat uns Kent damals eine fremde Welt gezeigt, die wir heute weit besser kennen und verstehen als er damals.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • qualvolle Spätwerk

    O ja. Das wurde wirklich zunehmend anstrengender. Die habe ich auch nur einmal gelesen, die davor haben eigentlich mindestens einen zweiten Durchgang, Bruderkampf oder Piratenfürst auch mehr. Aber auch durch den Bruderkampf musste ich mich Anfang des Jahres durchquälen.

    Kent war tatsächlich kein besonders guter Autor, die Ideen sind gut, Fachkenntnis auch (soweit ich das überhaupt auch nur ein bisschen einschätzen kann), aber stilistisch stechen mir die gleichen Mängel ins Auge. Schon in den 80ern und 90ern waren mir einpaar Dinge aufgefallen, aber jetzt sind das ungleich mehr, die mir auch stärker auffallen.

    Insgesamt möchte ich Bolitho nicht missen, der war meine Einstiegsdroge in das Genre und hat mich auch durchaus geprägt. So gesehen ist es schade, dass ich mich jetzt so schwer damit tue. Ich denke auch, da könnte so viel mehr in den Büchern sein, auch im Brander, wenn mal etwas tiefer in die Figuren und die halt oft sehr oberflächlichen Beschreibungen eingedrungen werden würde.

  • Das ist doch gerade das Interessante daran, dass wir mit den Büchern bzw den Inhalten "groß geworden" sind und und deshalb heute kritisch(er) damit auseinandersetzen können.

    Der geschriebene Text ändert sich nicht mehr, aber unsere Wahrnehmung und Deutung schon.

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.