• Durch Zufall hörte ich einen Radiobeitrag, der sich mit einer bekannten Redewendung und ihrer Herkunft beschäftigte und dabei (zufällig) unser Metier streifte. So heißt es:


    Wir hören von einer besonderen Einrichtung bei der englischen Marine. Sämtliche Tauwerke der königlichen Flotte, vom stärksten bis zum schwächsten, sind dergestalt gesponnen, daß ein roter Faden durch das Ganze durchgeht, den man nicht herauswinden kann ohne alles aufzulösen, und woran auch die kleinsten Stücke kenntlich sind, daß sie der Krone gehören.
    Eben so zieht sich durch Ottiliens Tagebuch ein Faden der Neigung und Anhänglichkeit, [...].


    Die Wahlverwantschaften. Gedenkausgabe der Werke, hrsg. von E. Beutler, Neunter Band, Zürich 1949/Reclams Universal-Bibliothek Nr. 7835, Stuttgart 1956/2010, S. 134.

    Von anderen Gegenständen der Marine/Armee kennt man ja die "GR" bzw. die Pfeil-Prägungen, für Tauwerk war mir das jetzt neu - wenn auch vollkommen nachvollziehbar, wenn man an die Korruption innerhalb der RN im 18./19. Jahrhundert denkt (s. z.B. die die Anmerkungen von Lavery in Nelson's Navy: [...] "The whole system was extremely unreliable. [...] No serious attempt was made to check whether the money was used as voted, and there was no real guarantee that the exact amount would really be paid. Most important of all, the money was never enough from year to year, so the navy was permanently in debt. However, this was accepted by the contractors, and payment was regular if slow, so the system worked." (S. 21) oder zeitgenössische von Charles Middleton.
    Erstaunlich, dass ich das vorher noch nie irgendwo gelesen habe und Goethe dies schon 1807-09 in seinem Text für die Wahlverwandschaften als Anekdote schilderte.

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.

  • Jetzt wo Du es schreibst kommt mir wieder in den Sinn, das mir das in der Ausbildung erzählt wurde, denn in Kabeln und Leitungen wird auch immer ein codierter Faden eingewoben, was auf den Royal Navy Brauch zurückgeht.


    Aga

    Gentlemen, when the enemy is committed to a mistake, we must not interrupt him too soon.

    Adm. Horatio Nelson

  • Ich erlaube mir einen Beitrag aus dem anderen Forum zu zitieren, wo wir das gleiche Thema hatten:


    Von Tom/Archnav: RE: Ähnlich dem sprichwörtlichen "roten Faden" und der "Broad Arrow" und andere RN-Markierungen


    Hallo zusammen,


    den sogenannten "roten Faden" gab es weder in der Royal Navy noch in der Handelsmarine. Bei Blanckley 1750, Steel 1794 und in einem Kontrakt der Navy von 1792 ist eindeutig die Rede von einem weißen, ungeteerten Garnstrang ! "white thread" !!!


    Auszug: "Ein heller ungeteerter Faden, in entgegengesetzter Richtung verdreht (also andersherum als die übrigen Garne), ist als Zeichen des Königs in alle Kardeele der Kabel und alle Duchten von starkem Tauwerk (über 3 Zoll Umfang) einzuflechten und ein Segelgarn in das schwächere Tauwerk (unter 3 Zoll Umfang), sodaß sie an der Außenseite der Duchten und Kardeele zu sehen sind." (Galt laut Steel auch für die East-India Company)


    Ein roter Faden findet sich in keinem zeitgenössischem Werk erwähnt. Wäre bei stark geteertem stehendem Gut auch nicht zu sehen, ein weißer dagegen schon, denn die einzelnen Garne wurden schon vor dem "Schlagen" auf der Reeperbahn in Teer getränkt. Erst wenn dieser getrocknet war wurde das Tau oder Kabel geschlagen. Dadurch blieb der weiße Faden sichtbar, auch in hellem..also laufendem Gut, denn auch dieses war leicht geteert (beigebrauner Farbton) um es vor Wasser und Salz zu schützen.


    Gruß, Tom


    Ich kann dies aber weder persönlich bestätigen oder widerlegen, aber als Diskussionsbeitrag. Daniel

  • Nun was 1750 galt - und darauf bezieht sich ja der Beitrag - muss in späteren Jahren nicht ebenso gewesen sein. Mir ist der rote Faden schon öfter begegnet, bei Bolitho, bei David Winter und sogar bei Jack Aubrey. Dort ist mir eine Unterhaltung zwischen zwei Matrosen erinnerlich, dass Jack sogar sein eigenes Geld für gutes Tauwerk einsetzt, wie man am fehlenden Roten Faden erkennen kann. Ok, nur Literatur, aber St. Patrick und auch Frank Adam stehen ja für ausgezeichnete Recherche.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Das Problem, welches ich jetzt auf mich zukommen sehe, ist die Frage, wie ich diesen Faden - egal ob weiß oder rot - in mein Tauwerk bekomme. Muss ich jetzt alle bisher geschlagenen Taue nochmal schlagen, um mich vom Vorwurf, ich würde nicht historisch korrekt bauen, freizuhalten?


    Wobei: Der Beitrag aus dem anderen Forum ist von 2014, und bisher hab ich dort noch nirgends, selbst nicht bei den Modellbaugöttern, eine solche Diskussion gesehen. Puh, nochmal Glück gehabt! *schweißabwisch* :D

  • Abreissen @Bonden! Da hilft nur abreissen.
    Runter mit diesen inakzeptablen Flusen, wo ein Faden fehlt.
    ^^crazy


    Aga



    P.S..:Bei den Panzer Modellbauern da wird schonmal jemand in den Orkus gestoßen weil ein von 100 Nieten fehlt. Da sind die Holzwürmer echt nett

    Gentlemen, when the enemy is committed to a mistake, we must not interrupt him too soon.

    Adm. Horatio Nelson

  • "Hat es nie gegeben" ist immer ein Superlativ und für die britische (und wahrscheinlich auch alle anderen) Marine(n) im 18./19. Jahrhundert nur sehr schwer vorstellbar...


    Und wenn der Faden ebenfalls geteert gewesen sein sollte, würde man auch nicht mehr erkennen, welche Farbe er hatte, was auch egal wäre, weil ...


    Lavery (Nelson's Navy, VIII, 1, S. 157) schreibt dazu: "Each piece [rope] included a single strand in a different colour, either tarred or untarred, to identify it as government property and prevent theft."


    Warum sollte man den Faden auch von "außen" sehen können müssen?
    Ein weißer Faden würde zwischen geteerten Strängen im täglichen Leben auf See wahrscheinlich sowieso sehr schnell abdunkeln.
    Einen farbigen Faden - egal ob nun geteert oder nicht - erkennt man am Tauende wahrscheinlich eher als einen leicht geteerten weißen zwischen stroh- bis ockerfarbigen Garnen der Taue des laufenden Gutes.


    Und der Textauszug scheint eher das 'Wurmen', also das verkleiden/verstärken der Kardeelschläge von Wanten, etc. zu betreffen?


    Also bleibt es letztlich wieder eine Frage nach verwendbaren bzw. verfügbaren Farben für Textilien im 18. Jahrhundert. Und da gab es im Gegensatz für den seetauglichen Holzanstrich mit Bindemittel und Lack schon reichlich Möglichkeiten - warum also nicht rot, grün oder braun?

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.

  • Im englischsprachigen Teil von Google finden sich auch Hinweise auf den "rogue´s yarn". Demnach hatte der eine doppelte Funktion, einmal die bereits bekannte Diebstahlgeschichte und andererseits auch einen Aspekt der Produkthaftung. Man konnte daran nämlich auch erkennen, aus welcher königlichen Werft das Tauwerk stammte, falls es das mal zu Qualitätsproblemen kommen sollte,,bzw. ob das Tauwerk überhaupt von einer königlichen Werft kam. Zur Unterscheidung hatte das rogue´s yarn nämlich unterschiedliche Farben. Und hier zitiere ich beispielhaft aus dem Plymouth Herald:



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  • Vor der farbigen Markierung soll übrigens geteertes Tauwerk mit einem ungeteerten Faden und ungeteertes Tauwerk mit einem Teerfaden markiert worden sein.

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  • Das Problem, welches ich jetzt auf mich zukommen sehe, ist die Frage, wie ich diesen Faden - egal ob weiß oder rot - in mein Tauwerk bekomme. Muss ich jetzt alle bisher geschlagenen Taue nochmal schlagen, um mich vom Vorwurf, ich würde nicht historisch korrekt bauen, freizuhalten?


    Wobei: Der Beitrag aus dem anderen Forum ist von 2014, und bisher hab ich dort noch nirgends, selbst nicht bei den Modellbaugöttern, eine solche Diskussion gesehen. Puh, nochmal Glück gehabt! *schweißabwisch* :D

    Aye, Bonden,


    so ist das mit den "Göttern" . Gibt dabei für mich zwei Möglichkeiten: entweder füge ich mich den Entscheidungen von " Höherer Stelle", oder ich halte es wie Pastor Bolte, und der hielt das wie er`s wollte. :D:D:D


    Best regards Angarvater

    To the optimist, the glass is half full.
    To the pessimist the glas is half empty.
    To the engineer, the glass is twice. As big as it needs to be.

  • @Angarvater Hieß der gute Mann nicht Nolte? ;)


    @Speedy Danke für den erhellenden Beitrag. Klingt logisch und deckt sich ja mit modernen Kabrln und dem, was Lavery schreibt.
    Kommt also weniger auf die Farbe selbst als auf das Vorhandensein des Farbigen Fadens an sich an.

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  • Im Maßstab 1:72 dürfte es extrem schwieirg sein, einen maßstabgerechten Faden zu finden. Außerdem müsste man in Erfahrung bringen, welchen Durchmesser das rogoue´s eigentlich hatte und ob es zwischen den einzelnen Taustärken differierte.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • So, wie ich Dich einschätze, ist der Keim des Zweifels bereits gesät. Du bist nun einmal ein Perfektionist.
    Bist Du schon am recherchieren, wie dünn Fäden im Handel erhältlich sind? :eek:

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • :hmm: lass den Faden mal die Stärke einer dünnen Paketschnur haben.
    Also großzügig 1mm Durchmesser, dann wären wir bei einem Maßstab von 1:72 bei folgendem Dreisatz:


    x/1mm=1mm/72mm
    => durch Kürzen und Umstellen
    x=1/72mm = 0,014mm


    Das ist dünn! 14µm ;(search
    Das möchte ich dann aber schon fein säuberlich geschlagen sehen!


    So bwkloppt kann keiner sein, das machen zu wollen... obwohl? Einen könnte ich mir vorstellen... crazy


    aga

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    Adm. Horatio Nelson

  • Pah, dünn! Lächerlich!


    Eine Schweizer Firma hat den dünnsten Draht der Welt entwickelt, kann ihn aber leider nicht vermessen.
    Deswegen geben sie ihn zu den Franzosen, aber die schicken ihn zurück, weil auch sie nicht so genau messen können. Danach versucht die Schweizer Firma ihr Glück bei den Engländern, den Schweden und in den USA, doch jedes Mal vergebens, mit der Antwort, dass auch sie nicht über so genaue Messmittel verfügen.
    Zu guter Letzt versuchen sie ihr Glück bei einer Firma in Sachsen wo ja Gerüchten nach viele gute Schlosser wohnen sollen. Als Antwort kommt ein Zettel, auf dem steht: "Dor Droht is 0,0000164 Mikromedor dick. Abor was sollmor damit mochn? Gewinde drof oder ä Loch durch bohrn?"

  • Da würde sich Rigging Super Fine von Ammo of MIG anbieten. Da ist der dünste Faden 0,01 mm dick. Wenn man den färbt, kommt man bestimmt auf 0,014 mm.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)