Im Windschatten des Schreckens - Band 2

  • Ungezügelte Ausschweifungen in Genua


    In 'Im Windschatten des Todes' von D. Donatchie finden wir die Fortsetzung von 'Klarschiff zur Höllenfahrt' vor. Der zweite Band der marinekriminologischen Serie um die englischen Brüder Ludlow erscheint 1998 im Ullstein Verlag in deutscher Erstauflage, ist von Uwe D. Minge überzeugend ins Deutsche übersetzt und bietet 496 S. Abenteuer an. Mögliche Seekarten, ein Glossar oder ein Nachwort fehlen.

    Wieder sind die grundverschiedenen Brüder zunächst on tour und schnell auch wieder on fire! Harry Ludlow, ehemaliger Offizier der Royal Navy, erfolgreicher Freibeuter und großkotziger Kriminologe ist das charakterliche Gegenteil von seinem Bruder James Ludlow, sofern es erlaubt ist, Personen in ihren Grundhaltungen zu vergleichen. James ist ein schöngeistiger, charmanter Maler und das Gegenteil eines lauten, kraftstrotzenden Seemanns, der eben einen solchen Bruder begleiten muss, um vor den Folgen einer unglücklich verlaufenen Beziehung zu fliehen. Beider Brüder Vater ist ein Admiral im Ruhestand, beide Brüder sind sehr wohlhabend und daher in der Lage, sich einen ausschweifenden, herausfordernden und überheblichen Lebensstil zu leisten.

    Worum geht es inhaltlich? Die Story in Ansätzen: Die Brüder erhalten von Admiral Hood einen vieldeutigen Auftrag, der bei Erfolg Harrys Reputation und einen neuen Freibeuterbrief zur Freibeuterei bedeuten könnte. Im Freibeuternest Genua wird ein britischer Kapitän mysteriös aufgehängt und damit tot aufgefunden. Eine französische Slup liegt im Hafen. Der Handelsvekehr im Mittelmeer ist von Freud und Feind gestört. Die Brüder sollen aufklären, aus Dunkel Hell machen. Sie lernen finstere Personen kennen und ein ausgeklügeltes Ränkespiel bleibt lange undurchschaubar. Wenigstens zwei Kaperkapitäne rivalisieren um Profit und um einen schnellen Segler. Mehrfach werden die Brüder angegriffen. Ein alter, blinder Kaufmann mit wunderschöner junger Tochter und gleichzeitig Pflegerin (Lelia di Toraglia) spielt eine (auch erotische) Rolle. Ein genuesischer Admiral Doria will auch seinen profitablen Part spielen. Es wird geblufft, gemordet, gelogen, gegrinst, geliebt, gekämpft, geprügelt. Bruder James wird der Arm gebrochen, damit ist er zunächst heraus aus den Geschehnissen in Genua. Ein Rattenwettkampf Neger gegen Nager ist Anlass für ein makabres Wettspiel, später wird aus dem Wettspiel blutige Folter und Harrys Gesicht ist Brot für die hungrigen Kampfratten. Üble, fiese tortura! Nach 374 S. bunter, noch unverständlicher, weil noch nicht logisch zusammenhängender Handlung, wird die Story dann marinelastiger. Harry schult eine Seemannschaft und sucht die Auseinandersetzung mit 4 Widersachern und deren kleinen Bötchen auf See. Zunächst erweist er er sich erfolgreich als manövernder Fuchs, dann wird er ausgefuchst. Bumm! Ein Schiff explodiert, das daneben geht fast ganz kaputt. Nächster Versuch! Am Schluss ist der Widersacher ausgelöscht, ein übler Menschenhandel / Prostitution aufgedeckt, die Brüder vereint, der Fall gelöst.

    Der Autor von 'Klar Schiff zur Höllenfahrt' hat sich weiterentwickelt und die Story ist diesmal immer spannend, nachvollziehbar und bleibt überschaubar. Ein flotter Marinekrimi in der Tradition eines W. Perkins. Das ist recht gut, nicht sehr gut, aber durchaus lesenswert. Woran liegt das? Zunächst insgesamt daran, dass der Autor hier einen Stoff flüssig bändigt, der zunächst unüberschaubar anmutet. Ein verwirrendes Wuhling wird Stück für Stück aufgeklart.

    Wie die Ludlow-Brüder den dargestellten Personen der Story, so verweigert Donatchie seinen Figuren einen ehrwürdigen Respekt. Das macht die Individualität der Figuren luftig und humorvoll. James z.B. „...hatte nicht mehr das Temperament einer Bulldogge wie sein älterer Bruder“ (S.22). „...Doch in Harry schien eine verborgenen Stärke zu stecken, die James zu fehlen schien, eine physische Präsenz, gepaart mit der langen Erfahrung eines Seemannslebens, aber mit einem gewissen Mangel an Kultiviertheit“ (S.22). James über Admiral Hood: „Und ich wage zu vermuten, daß sie sich als jovialen alten Burschen sehen, voller Witz und herbem Charme“ (S.23).

    Zur Gestaltung der Unterschiedlichkeit der Charaktere der Hauptfiguren formuliert Donatchie: „Harry lächelte, und zum erstenmal dachte er an James, der in einer Situation wie dieser akzeptiert hätte, daß sein Bruder wußte, was er tat, und ihn nicht mit seinem spitzfindigen Pessimismus belästigt hätte, mit dem er ihn in Genua so genervt hatte“ (S.389).

    Die Ludlowschen Frechheiten und James feinsinnige, offen artikulierte Grenzüberschreitungen führen die Brüder immer wieder in Erklärungsnot und Bedrängnis. Mit einem arroganten Offizier muss / will Harry sich duellieren. Es ist eine -Demütigung für den Offizier, dennoch ist der Kampfstil von Harry nicht Gentleman-like. Trotzdem lustig!

    Donatchie fängt auch in diesem 2. Band deutlich sensitiver ein, wie es z.B. in einer verkommenen Hafenstadt oder in einem Bordell riechen könnte. Auch landestypische Gerüche und Geräusche sind feinnervig eingefangen. Das erreicht schon fast das Niveau von D. Pope.

    Auch schön formuliert: „Die Wände und Decken waren ein Feuerwerk von Farben, Fresken, die von vergoldeten Kranzleisten eingerahmt wurden, zeigten tanzende Nymphen, Götter, die spielten, und vorwärtsspringende Tiere; das alles wurde von einer milden Gottheit betrachtet“ (S.171).

    Die inhaltliche Respektlosigkeit der Ludlow-Brüder hat Methode. Hier kriegt Donatchie besser die Wende als in der Auftakt-erzählung. Hier wirkt es fluffig und leicht. Das ist diesmal gelungen. Dennoch nerven auch beide Brüder. Ein Besser-wisser und ein tolpatschiger, malender Landlubber; dennoch beide anfeindbar und doch auch verletzlich. Die Royal Navy hat inkompetente Offiziere, die Saufen und Hurerei zulassen und billigen oder einen verschmitzten Admiral Hood. Hier finden vielleicht auch autobiografische Erfahrungen und Enttäuschungen Donatchies Grund.

    Erzähltechnisch finden wir eine gekonnte, auktoriale und personale Erzählkonstruktion vor. Gut erzählt, feine Formulie-rungen und gute Beobachtungen lassen einen Lesefluss entstehen. Gelungen!

    Die Gestaltung eines Heldenpaares mit diametralen persönlichen Gegensätzen in Handlungskompetenz, Wissen und Rhetorik ist ja nicht neu, aber gewinnbringend. Kenner der Materie denken sofort an Aubrey/Maturin. Diese Pärchen bleibt jedoch das Maß konvergierender Antipoden. Natürlich bleibt die Gestaltung dieses Paares unerreicht, genauso wie der Humor bei Patric O'Brian.

    Aber Donatchies Brüderpaar versucht sich auch gewinnbringend für den Leser die Abenteuer aus unterschiedlichen, gegensätzlichen Perspektiven zu erschließen. Gut ist das und auch erfreulich für uns Leser. Diesen Band zu lesen hat sich gelohnt.

    (Toskana im Oktober)

    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)