Heute vor 210 Jahren...

  • ...trafen die mächtigsten Flotten ihrer Zeit aufeinander, um den Kampf um die Seeherrschaft für die nächsten 100 Jahre zu entscheiden. Fast 5.000 Seeleute verloren dabei ihr Leben, unter ihnen Vizeadmiral Viscount Nelson und Admiral Frederico Gravina y Napoli, der seinen schweren Verletzungen ein halbes Jahr nach der Schlacht erlag. Der Name der Schlacht ist auch heute noch ein Synonym für das goldene Zeitalter der Royal Navy:


    T R A F A L G A R

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Warum sollte er ihn denn nicht geküsst gehabt haben dürfen?


    Allerdings streitet man sich wohl bis heute in der Forschung, ob Nelson nun "Kiss me, Hardy" oder "Kismet [=Schicksal], Hardy" gehaucht hat...

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.

  • Wieso 210 - vor 9 Jahren ...


    ach nee, das war ein anderes Waterloo, ähm Trafalgar.


    Also, alle schnell noch einen tiefen Schluck aus dem großen Fass, bevor der Admiral eingelagert wird.


    Happy Trafalgar Day!

  • Ahoi allerseits!


    Die (dienst)-Älteren werden sich erinnern: In einem früheren Forum gab es mal einen Schreibwettbewerb zum 200. Jahrestag der Trafalgarschlacht.
    Glücklicherweise habe ich meinen damaligen Beitrag aufgehoben und will ihn euch - und speziell auch den Dienstjüngeren - gern hier nochmals präsentieren. Ich weiß, er sollte (auch) ins Logbuch, aber es ist eine Trafalgarstory, daher poste ich das hier. :wink2:


    Sam und Tom


    Tyk hielt sich für ziemlich pfiffig. Er wusste Bescheid in der Stadt, trotz seiner jungen Jahre. Er kannte alle Ecken, an denen man immer etwas fand, was den Hunger wegmachte, er wusste, wo die süßen Miezen waren, die auch bereit waren, sich mit ihm einzulassen, und vor allem erkannte er die Menschen, die ihm nur Böses wollten, schon von Weitem. Und weil er diese Leute schon von weitem erkannte, wusste er auch stets ein gutes sicheres Versteck, eins, in das sie nicht kamen, das sie nicht ausheben konnten bzw. eins, in dem es einen zweiten Ausgang gab.
    Dennoch wusste Tyk, dass das Leben voller Gefahren steckte, und er war sich durchaus der Tatsache bewust, dass er noch sehr jung war und noch viel lernen konnte. Am liebsten ging er dann immer zu seinem Großvater, dem alten grauhaarigen Sam. Sam war schon sehr, sehr alt; nach seinem eigenen Erzählen lebte niemanden mehr auf der Welt, der mit ihm zusammen die Kindheit verbracht hatte. Großvater Sam wusste alles über das Leben, vor allem aber über diese große Stadt und über die Schiffe, die Seeschlachten, die Winde - Sam hatte die Welt bereist wie sonst keiner aus der Familie. Tyk hörte ihm gern zu; wenn Sam erzählte, sein "Seemannsgarn abspulte", wie er das nannte, dann meinte der junge Tyk, selbst an Bord eines großen stolzen Linienschiffes zu sein, er spürte geradezu, wie die Seebrise ihm um den Bart wehte und seine Haare streichelte, er roch die salzige Seeluft und hörte das Donnern gewaltiger Breitseiten, duckte sich vor umherfliegenden Holzsplittern und litt mit den verletzten Seeleuten.


    Das größte Erlebnis aber, das Großvater Sam in seinen Erinnerungen für immer tief vergraben hatte, war die größte Seeschlacht überhaupt - die, in der der berühmte Lord Nelson den Feind besiegt und sein Leben verloren hatte und Sam seinem Freund Tom das Leben gerettet hatte. Schon oft hatte Tyk diese Geschichte gehört, und das Erstaunliche war, dass Großvater Sam bei dieser Geschichte nie irgendwelche Abänderungen einbaute. Bei vielen anderen Geschichten tat er das - wenn man da die erste Version verglich mit der Variante, die er grad gestern erzählt hatte, lagen Welten dazwischen. Nicht aber die Geschichte über die Schlacht vor Kap Trafalgar - fast wortwörtlich gleichlautend kam sie jedes mal aus Sams Mund, und es war Tyk's Lieblingsgeschichte. Tyk war heute danach, diese wunderbare Geschichte mal wieder zu hören, er hatte einen schlimmen Tag hinter sich, war gejagt worden von den üblichen Häschern, hatte als einzige Mahlzeit einen halben Hering gehabt, und nicht einmal Glory, die süße Rothaarige aus der Brown-Street, hatte ihn heute eines Blickes gewürdigt. Also schlich Tyk zu seinem Großvater, so konnte der Tag nur besser werden.


    Als er den Garten betrat, in dem Sam gewöhnlich seine Nachmittage verbrachte, sah er ihn gleich: Sam lag an seinem Lieblingsplatz, unter dem großen, schattenspendenden Apfelbaum auf der Wiese und schlief. Leise schlich Tyk heran, stupste seinen Großvater vorsichtig an, und sofort öffnete dieser die großen dunklen Augen, die aber in letzter Zeit einen seltsam trüben Schimmer bekommen hatten. "Ah, Tyk, mein Junge, schön, dass Du mich besuchst!" sagte er mit seiner sonoren, schnurrenden Stimme und rieb seine Wange an der von Tyk. "Na, hattest Du einen guten Tag?" Tyk knurrte nur kurz, legte sich neben Sam und sagte leise: "Großvater, erzählst Du mir bitte von Trafalgar? Weißt Du, ich weiss gar nicht so richtig, warum Du schon so viele Jahre hier bei Tom lebst." Tyk wusste es genau, aber er wusste ebenso, dass Großvater Tyk genau dieses "Warum?" so liebend gern erzählte. Der alte Sam streckte sich, dachte kurz nach, verjagte mit einem kurzen Ruck seines Kopfes eine lästige Fliege und sagte dann: "Nun, mein Junge, wenn Du es denn wissen willst..." Und dann erzählte der alte Sam die für Tyk wohl außergewöhnlichste Geschichte, die er je gehört hatte...



    Sam war noch recht jung, als er das erste mal an Bord eines Schiffes kam. Er stromerte am Hafen umher, als er plötzlich von einem großen starken Matrosen gepackt und mit den Worten: "Na, Kleiner, Du weißt offenbar nicht, wo Du hingehörst - jetzt gehörst Du zu mir!" kurzerhand in ein schwankendes, am Kai befestigtes Ruderboot gesetzt wurde, welches kurz darauf ablegte. Sam wollte fliehen, aber als er über das Dollbord schaute, war schon reichlich Wasser zwischen dem Boot und dem Hafenkai - und schwimmen konnte Sam nicht. Also ergab er sich seinem Schicksal. Was soll's, dachte er sich, das Leben ist viel zu kurz, um ständig mit dem Schicksal zu hadern, und der Matrose, der ihn festhielt, damit er nicht doch in einem unbedachten Moment über Bord sprang, schien ja recht nett zu sein. "He, Tom", lachte einer von den anderen Kerlen an den Rudern, "da hast Du Dir aber einen tollen Kameraden an Bord geholt!" Der so Angesprochene strich dem kleinen Sam über den Kopf und knurrte, nicht unfreundlich: "Wartet mal ab - ich denke, der Bursche wird uns allen noch viel Freude machen! Wie heisst Du denn, mein Kleiner?" fragte er, aber sofort gab er selbst die Antwort: "Ich werde Dich Sam nennen, ok, Sam?" Sam schaute seinen neuen Freund nur mit großen Augen an und dachte, dass es gut ist, dass er endlich einen richtigen Namen hatte, denn bisher war er immer nur mit den unterschiedlichsten Begriffen betitelt worden. So richtig nett, so wie Tom jetzt, war eigentlich noch kein Mensch zuvor zu ihm gewesen.


    Sam gewöhnte sich schnell an das Leben an Bord. Die Männer mochten ihn alle mehr oder weniger, nur der Smutje nicht, aber das war auch kein Wunder. Sam verstand es meisterhaft, sich immer wieder die leckersten Dinge aus der Kombüse zu stibitzen, und wenn es Boldwin, der brummige Koch, bemerkte, war Sam schon wieder an ganz anderer Stelle des Schiffes zu finden.


    Anfangs konnte sich Sam nicht an den Lärm gewöhnen, den die Kanonen machten, er floh dann regelmäßig tief unter Deck, wo er ebenso regelmäßig von Tom wieder vorgeholt wurde. "Sam, mein Freund" knurrte Tom dann für gewöhnlich, "daran musst Du Dich gewöhnen! Und wir üben nur - was soll denn das erst werden, wenn wir mal in ein echtes Gefecht mit dem Franzmann kommen?" Sam hatte keine Vorstellung, wer der Franzmann ist, aber er stellte sich ihn als einen dieser großen brutalen Schlächtertypen vor, die ihn manchmal durch die Straßen der Stadt gejagt hatten, als er noch an Land lebte.
    Doch bald sollte er Bekanntschaft mit "dem Franzmann" machen. Eines Morgens, die Mannschaft war gerade beim Frühstücken, erscholl der sattsam bekannte Befehl "Schiff klar zum Gefecht!" Sofort stürzten die Männer hoch, hastig wurden die Essensgerätschaften verstaut, jeder eilte auf seine Station, und sehr schnell war klar, dass es sich diesmal nicht um eine der vielen Übungen handelte. Der Kapitän hielt eine kurze Ansprache: "Männer, jetzt wird sich zeigen, ob der monatelange Drill umsonst war oder nicht! Da drüben kommt ein Franzose, eine 38er Fregatte, also ein Stück größer als unser schönes Schiff. Aber ich bin mir sicher, dass wir uns mit unseren 32 Rohren diese schöne Prise schnappen werden! Jeder auf seine Station - für König und Vaterland!" Ein vielstimmiges dreifaches Hurra war die Antwort, und Sam war stolz auf "sein" Schiff, er spürte, die Männer würden ihrem Kapitän notfalls bis in die Hölle folgen.
    Eine Stunde später wähnte sich Sam selbst in der Hölle. Fast pausenlos krachten irgendwelche Kanonen, Holzteile, Taue, Segelfetzen und anderes flog durch die Luft, Männer schrien vor Schmerzen, wenn sie getroffen wurden, und überall war Blut. Sam spürte plötzlich eine große Gefahr, drehte sich um, und da geschah es: Tom wurde verwundet, ein herabstürzender Block krachte ihm schwer gegen die Schulter und riss ihn zu Boden, wo er bewusstlos liegen blieb. Sam schlich zu ihm, versuchte zu ergründen, was mit seinem Freund los, als er unsanft vom großen Fuß des Loblolly-Boys beiseite geschoben wurde. "Mach Platz, Kleiner, wir bringen ihn runter zum Doc, der flickt ihn schon wieder zusammen!" Sam sah traurig hinterher, wie zwei Mann den ohnmächtigen Tom wegtrugen, und er überlegte, ob er hinterher eilen sollte. Aber dann erinnerte er sich daran, dass Tom ihm gesagt hatte, dass er sich an den Schlachtenlärm gewöhnen müsse, dass sein Platz nicht tief unten im Rumpf des Schiffes sei, wenn gekämpft wurde, sondern an Deck. Er spürte einen Blick in seinem Rücken und drehte sich um. Da stand der Kapitän, schaute ihn streng, aber auch ein wenig mitleidig an - jeder an Bord wusste, wie tief die Freundschaft zwischen Tom und Sam war - und dann nickte er zufrieden, als Sam sich an den Platz seines Freundes an die dritte Steuerbordkanone stellte.
    Zwei Stunden später war das feindliche Schiff besiegt, unter großem Jubel setzte die Prisenmannschaft die britische Flagge über der Trikolore. Jetzt endlich eilte Sam in den Orlop, um nach seinem Freund zu sehen. Der Doc hatte alle Hände voll zu tun, Sam gab acht, dass er ihm nicht im Weg war und huschte zwischen den vielen Verwundeten hindurch, suchte Tom. Als er ihn liegen sah, noch immer ohnmächtig, ein Häufchen Elend, nahm sich Sam vor, künftig ganz besonders auf ihn acht zu geben. Er haderte mit sich selbst, dass er die Gefahr zwar instinktiv gespürt, aber nicht rechtzeitig reagiert hatte, um seinen Freund vor Schaden zu bewahren. Das sollte ihm kein zweites mal passieren! Plötzlich hörte er die Stimme des Doktors neben sich, der ihn tröstete: "Wird schon wieder, Sam, wir bekommen Deinen Freund wieder fit, keine Bange!" Sam war in diesem Moment nicht so optimistisch - zu elend sah Tom aus, kalkweiß und regungslos, flach atmend, schaukelte er sanft in der Hängematte.
    Glücklicherweise sollte der Doktor Recht behalten, und nach zwei Wochen war Tom wieder auf den Beinen.



    Einige Jahre vergingen, in denen Sam einige Gefechte und sogar eine Seeschlacht miterlebte. Stets war er an der Seite von Tom, achtete darauf, dass ihm nichts passierte, aber glücklicherweise wurde Tom nicht noch einmal verwundet. Dann wurde die Fregatte, auf der sie nun so lange gefahren und die Weltmeere bereist hatten, ausgemustert. Sie war alt, sehr alt sogar, der Schiffsboden moderte bereits, und es stand fest, dass sie keine längere Reise mehr überstehen würde. Die Matrosen wurden über die gesamte Flotte verteilt, und so kamen Tom und Sam auf ein viel größeres Schiff. "Schau, Sam", sagte Tom leise, als die große Barkasse sie übersetzte, "das ist die VICTORY! Sie ist das Flaggschiff von Vizeadmiral Nelson, der größte Seeheld, den England hat. Wir können stolz sein, mit ihm reisen zu dürfen!" Sam war gespannt auf Nelson. Den Namen hatte er schon öfters gehört, hatte aber keine Vorstellung von diesem Menschen.
    Es dauerte einige Tage, bis er ihn zum ersten mal zu Gesicht bekam. "Das ist der größte Seeheld Englands?" dachte Sam enttäuscht, "der ist ja viel, viel kleiner als Tom!" Doch Sam spürte, dass von diesem kleinen Mann etwas ausging, was man nicht genau beschreiben konnte, was aber alle Männer an Bord aufleben ließ, ihnen Mut machte.


    Die nächsten Wochen segelte die Flotte ständig hierhin und dorthin, Sam bekam nur mit, dass man die Franzosen jagte, und die Stimmung an Bord wurde zunehmend gereizter, da es offenbar nicht gelang, die französische Flotte zu stellen.
    In dieser Zeit passierte etwas, was Sam einen gewaltigen Knacks gab in Bezug auf seine Einschätzung diesen kleinen Admiral betreffend. Nelson spazierte über Deck, und dabei stapfte er nicht nur auf dem Achterdeck herum, sondern nahm einen Weg quer über die gesamte Länge der VICTORY. Sam nun hatte das Pech, ihn zu spät zu bemerken, und plötzlich gab ihm Nelson mit einem gefauchten "Aus dem Weg, blöder Kerl!" einen fürchterlichen Fußtritt. Sam eilte schnell in die entlegenste Ecke. Den Schmerz beachtete er gar nicht, aber diese Demütigung tat in der Seele weh, er konnte einfach nicht verstehen, warum dieser große Seeheld seine schlechte Laune an ihm ausließ. Tom hatte glücklicherweise nicht mitbekommen, was passiert war, wer weiss, wie er im ersten Zorn reagiert hätte.



    Dann endlich war es soweit - der Feind war gefunden! Eine große Aufregung machte sich breit in der gesamten Flotte, bunte Wimpel flatterten aus, das Schiff wurde gefechtsklar gemacht. Tom war auf dem Oberdeck, direkt an der Treppe zum geheiligten Achterdeck eingeteilt, und Sam war natürlich an seiner Seite.
    Tom sagte leise zu ihm: "Guck, Sam, der alte Nelson pfeift mal wieder auf die Regeln der Kriegskunst. Rennt einfach mitten rein in die Schlachtlinie der Franzmänner! Na das wird ein Hauen und Stechen!" Sam sah ihn nur unverständlich an und harrte der Dinge, die da kommen würden.
    In den folgenden Stunden erlebte Sam ein Inferno, wie er es bisher noch nicht kannte. Geradezu lächerlich erschien ihm jetzt seine Angst in seinen Anfangstagen auf See, wenn an den Kanonen geübt wurde, und auch das flaue Gefühl in seinem Magen, als sie das erste mal auf ein feindliches Schiff trafen und damals sein Freund Tom verwundet wurde, war nichts gegen die Bedrückung, die er verspürte, als mitten in der Schlacht die VICTORY gleich von zwei feindlichen Schiffen beschossen wurde. Zuvor musste ihr Schiff etliche Schüsse einstecken, ohne eine einzige Kanone abfeuern zu können, aber dann endlich sprachen auch die Breitseiten des Flaggschiffes. "Ja, genau in den Arsch!" jubelte ein Matrose neben Tom, als er sah, dass die Briten eine volle Breitseite ins Heck der gegnerischen BUCENTAURE gejagt hatten. Tom schuftete hart, mal an den Brassen, dann wieder an einer Kanone. Sam erlebte schlimme Momente, als krachend ein Stück Rah dicht neben Tom auf dem Deck aufschlug und kurz danach eine feindliche Kanonenkugel den Mann neben Tom wegfegte. Aber Tom war wie ein Fels in der Brandung, er arbeitete mit stoischer Ruhe, grinste sogar zwischendurch mal mit blitzenden Zähnen aus einem ruß- und blutverdreckten Gesicht zu Sam herüber und hatte offenbar Spaß an der Schlacht. Durch die Tatsache, dass er in der Nähe des Achterdecks war, bekam er zwangsläufig auch einen Teil dessen mit, was Nelson und seine Offiziere sprachen. So hörte Tom, wie Kapitän Hardy dem Admiral mitteilte, dass man nicht durch die gegnerischen Schiffe käme, ohne eins zu rammen, und Nelson erwiderte nur: "Trefft Eure Wahl, es spielt keine Rolle, welches." Tom grinste, zeigte nach Steuerbord und flüsterte seinem Kanonier zu: "Die REDOUTABLE, da wette ich meine Rumration drauf!" Jenkins, der alte glatzköpfige Kanonier, nickte nur und richtete das Rohr in Richtung des französischen Linienschiffes aus, und dann hatten sich beide Schiffe auch schon miteinander verkeilt. Die Stückmannschaften arbeiteten jetzt mit noch fiebrigerem Eifer, Sam sah ihre schweißglänzenden nackten Rücken, die sich über die heissen Rohre beugten, um sie immer und wieder neu zu laden, auszurennen und abzufeuern.
    Ein Offizier rief plötzlich Tom zu sich und wies ihn an, ein großes Trümmerstück, welches auf das Achterdeck gepoltert war, wegzuräumen. Sam schlich hinter Tom her, und er gab acht, dass er nicht wieder dem Admiral im Weg war, der mit Kapitän seine Runden auf dem Achterdeck drehte.


    Und plötzlich hatte Sam wieder dieses seltsame Gefühl von Gefahr, das gleiche komische Kribbeln im Nacken, das er damals gespürt hatte, als Tom von dem herabstürzenden Block beinahe erschlagen worden wäre. Was jetzt passierte, spielte sich in Sams Erinnerungen später immer ganz, ganz langsam ab, er nahm jede einzelne Phase der innerhalb kürzester Zeit ablaufenden Geschehnisse wahr: Sam blickte sich blitzschnell um, und er sah im Mars des gegnerischen Schiffes einen Scharfschützen, der mit seiner Flinte in Richtung Achterdeck der VICTORY zielte. Sam blickte zu Tom, sah ihn über das Deck eilen, und er wusste in diesem Moment, dass die Kugel ihn treffen würde, wenn er, Sam, nicht etwas dagegen unternahm. Blitzschnell sprang er Tom ins Kreuz, so dass dieser erschrak und strauchelte, und Sam spürte einen heißen Luftzug am linken Ohr. "Sam, was machst Du denn..." fragte Tom, aber dann stutzte er. Sam folgte seinem Blick - da kniete der kleine Admiral auf dem Deck, seine Finger berührten die Planken, und dann brach er zusammen. Sofort stürzte Tom zusammen mit einem weiteren Matrosen und einem Hauptfeldwebel der Marineinfanterie zu ihm und hoben ihn vorsichtig hoch. Kapitän Hardy eilte ebenfalls herbei, und Sam hörte, wie Nelson sagte: "Jetzt haben sie mich erledigt." Dann trugen ihn die Männer nach unten.
    Sam sah dem Zug hinterher; er konnte noch gar nicht so richtig fassen, was da eben passiert war. Aber eins wusste er: Er hatte seinem Freund Tom das Leben gerettet - und das war das einzig wirklich Wichtige an diesem Tag!


    Als die Schlacht zu Ende war und der Siegesjubel der Engländer über das Meer hallte, saß Tom ganz vorn im zertrümmerten Rigg der VICTORY, drückte Sam an sich und sagte leise: "Ich glaube, Du hast mir heute das Leben gerettet, mein kleiner Freund. Aber dafür musste der beste Seemann Englands sterben - was für ein Preis!" Sam dachte sich seinen Teil, er spürte wieder den Fußtritt, den ihm Nelson vor ein paar Wochen verpasst hatte, und er war einfach nur froh, dass sein Freund Tom lebte.



    "Tja, Tyk, so war das damals in der Seeschlacht von Trafalgar." sagte der alte Sam zu seinem kleinen Enkel. "Und deshalb hat mich Tom, als er dann endlich wieder nach Hause konnte, auch mit zu sich genommen, schließlich sind wir die besten Freunde!"
    "Großvater?" fragte Tyk, "ob ich auch mal an Bord so eines schönen stolzen Schiffes komme?" Sam knurrte und meinte dann: "Ach, die neumodischen Kähne mit ihren dreckigen, stinkenden Schornsteinen, das ist nichts für unsereins! Bleib lieber hier - hier geht es uns doch gut, oder?" Aber Sam hörte gar nicht mehr zu, er träumte - wie immer nach dieser Geschichte seines Großvaters - vom Meer, von Segelschiffen und großen Schlachten...



    Der alte Tom, Seemann im Ruhestand, saß auf der Bank in seinem kleinen Garten, hatte seine Frau Ruth im Arm und trank in aller Ruhe einen Krug Bier, während er in die untergehende Sonne blinzelte. Ruth hatte etwas Brot und Schinken auf einem Brett aus dem Haus geholt und reichte es, zusammen mit einem Messer, ihrem Mann. Der schnitt von dem Schinken zwei kleine Stückchen ab und rief in Richtung des großen Apfelbaums: "He, Sam, alter Knabe, komm, Abendbrot. Und Du, Tyk, kleiner Stromer, kriegst auch was!"
    Und mit zufriedenem Lächeln sah er den beiden Katern entgegen, die, laut schnurrend, eilig auf ihn zugerannt kamen...