HMS Mercury - Fregatte der Enterprize-Klasse; Shipyard-Kartonmodell, 1:72

  • Wie Speedy so treffend bemerkt - man kann, wenn man will, was lernen in meinem Baubericht. ;) Schau'n wir mal, was es heute wird...


    Ich habe Post bekommen, und zwar von sehr weit weg, aus der USA. Und das hier war drin:


    Was das wohl sein soll, wenn es fertig ist? Nun, ich baue es mal zusammen:


    Und dann steht das Maschinchen da:


    Der Kenner und die Fachfrau wissen natürlich längst Bescheid: Es ist ein Gerät zum Kleeden von Tauwerk.
    Warum macht man das, was bedeutet das? Das Kleeden, oder auch Kleiden, diente dazu, Taue, die besonderen Beanspruchungen durch Reibung ausgesetzt waren, zu schützen. Dazu wurde das Tauwerk mit sog. Schiemannsgarn dicht umwickelt. Vorher wurde es noch getrenst, d.h., die Keepen des geschlagenen Taus, also die Rillen zwischen den Kardeelen, wurden ausgefüllt (mit dünnem Garn zum Beispiel), dann wurde das Tau geschmartet, um Feuchtigkeit abzuhalten; dazu wurden lange dünne Streifen geteerten Segeltuches spiralförmig fest um das Tau gewickelt, und dann kam das Schiemannsgarn drum. Das wurde dann hinterher nochmal geteert.
    Soviel Aufwand betreibt der Modellbauer gemeinhin nicht, er beschränkt sich auf das Kleeden. [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley197.gif]
    Die Maschine arbeitet absolut umweltfreundlich, der Antrieb ist ein 1BF-Motor (BF: Bonden-Finger). Das Prinzip ist einfach, durch die Öffnungen in den Wellen für die unteren Zahnräder wird das zu kleedende Tau gesteckt und mittels den Klemmen links und rechts außen fest arretiert. Dreht man an der Kurbel, wird mittels der oberen Welle und der Zahnräder das Drehmoment gleichmäßig auf das festgespannte Tau übertragen. Auf der unteren Welle steckt eine Spule mit dem Kleedegarn - ich habe hier dünnes Polyestergarn aus dem Kurzwarenladen verwendet. Man muss die Garnrolle stets etwas führen, den Faden immer straff halten und die Rolle sanft weiterschieben, während man kurbelt. Schon meinem zweiten Tau gab ich das Prädikat "gelungen", und nach dem vierten Tau tauschte ich mal das dünne Nähgarn gegen 0,25-mm-Amati-Takelgarn. Boh, wie geil war das denn! Also für extrem dicke Taue ist das ja wohl ideal - das untere isses:


    Wäre zum Beispiel was für das Großstag.


    Ok, ich hatte nach einiger Zeit etliche Stücke gekleedetes Tauwerk und machte mich nun daran, daraus mal etwas erstes Konkretes zu fertigen. Da wären zum Beispiel die Wasserstage. Beginnt man mit dem Takeln, sind diese in aller Regel mit das Erste, was man anbringt. Wasserstage dienten dazu, die Zugkräfte, die das Fockstag und das Großstengestag auf den Bugspriet ausüben, aufzunehmen.
    Die Mercury hat zwei Wasserstage; größere Schiffe fuhren drei. Wie jedes Stag besteht auch das Wasserstag aus dem eigentlichen Stagtau und einem Stagkragen. An jeweils einem Ende ist eine Jungfer oder eine Herzkausche eingebunden, die dann mit Taljereeps verbunden werden. Klingt jetzt für den unbedarften Laien wahrscheinlich reichlich verwirrend, ist aber gar nicht schlimm.
    Heute habe ich die beiden Stagkragen gefertigt. Dazu lege ich ein Stück gekleedetes Tau um eine Herzkausche, fixiere das alles mit Ponal Turbo und binde an beiden Enden ein möglichst kleines Auge. Das sieht dann so aus:


    Jetzt wird eine Kreuzlaschung gemacht; dafür nehme ich mein dünnes Nähgarn, wickele das straff in mehreren nebeneinanderliegenden Lagen um beide Enden, dicht an der Herzkausche, dann führe ich den Faden in die Mitte und mache drei Querschläge, um anschließend den Faden an einer möglichst nicht sichtbaren Stelle mit Ponal Turbo festzuleimen und das überstehende Ende abzuschneiden.


    Am Ende sieht das so aus:


    Diese zwei Stagkragen kommen jetzt an Ort und Stelle:


    Wie geht es hier weiter? Unterhalb von unserem Freund Freddy befinden sich zwei Löcher im Scheg. Durch diese werden dann die beiden Wasserstage geführt; am anderen Ende binde ich die dann in genau solche Herzkauschen ein wie bei den Stagkragen. Und dann werden die jeweils zueinander gehörenden Herzkauschen nur noch mit dünnem Takelgarn, welches in diesem Fall Taljereep heißt, straff verbunden, und schon sind die Wasserstage fertig.
    Im Moment bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob ich auch die Wasserstage in voller Länge kleeden muss - das eine Fachbuch sagt dies, das andere das. Aber ich werde eine Variante auswählen und dann auch dazu stehen - egal was dann später andere Experten sagen. Das ist eben das Problem, wenn man historische Segelschiffe baut. Die Zahl der noch lebenden Menschen, die im 18. Jahrhundert am Bau dieser schönen Fahrzeuge beteiligt waren, liegt irgendwo zwischen Null und Null; insofern muss man den Mangel an lebenden Primärquellen irgendwie ausgleichen. [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley228.gif]
    Ach ja, das noch: Ein wenig Kartonbau war auch beteiligt. [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley181.gif] Für die Stagkragen habe ich extra Stopperklampen aus zuvor mit Sekundenleim getränkter Finnpappe geschnitzt - das sieht der Bausatz nämlich nicht vor. [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley183.gif]
    Und da wir grad beim Bausatz sind: Shipyard meint, die Wasserstags mit normalen Jungfern zu takeln; meine Recherchen sagen nahezu übereinstimmend, dass es Herzblöcke (-kauschen) waren. Und da ja dem Baukasten die verschiedensten selbst zu bauenden Blöcke beiliegen, konnte ich hier gut die 4mm-Herzblöcke verwenden, denn lt. Bauanleitung benötige ich davon nur zwei - und es gibt die Teile immer nur im Zehnerpack. happy 2

  • Es gibt zum englischen Schiffbau -leider nur auf Englisch- auch Primärquellen.
    Die wichtigste ist: David Steel "The Elements and Prcatice of Rigging and Seamanship". Ich habe zwar einen Nachdruck, ihn aber noch nicht durchgearbeitet, da ich beim Rumpfbau noch mehr als genug zu lernen und verstehen habe.


    Aktuell gibt es wohl auch eine Taschbuchauflage.

    Gruß Christian


    Auf dem Zeichenbrett und in der Werft: Naval Cutter Alert, 1777
    "Behandle jedes Bauteil, als ob es ein eigenes Modell ist; auf diese Weise wirst Du mehr Modelle an einem Tag als andere in ihrem Leben fertig stellen."

  • Aye Bonden,


    Das Maschinchen gefällt mir gut. Mag ja sein, daß die "Holzräder" irgend wann mal ausschlagen, aber so schnell wohl kaum. Eine meiner etwas "verdehten" Ideen ist beim Umgang mit diesen Materialien, daß ich die belasteten Bereiche ( Zahnkränze usw) mit sehr dünnflüssigem Sekundenkleber vorsichtig tränke und sie somit sehr viel härter mache.



    Ich hab gerade mal in meinen "Bücherschätzen" nachgeblättert. Von ganz alt -Orazio Curti - über Meister zu Mondfeld bis hin zu Petterson ( rigging of a period ship ) als auch in den Bauanleitungen der Pegasus und der Agamemnon werden immer normale Jungfern für die Wasserstage gezeigt.


    Ich kleede nur dort, wo die entsprechenden Tampen gegen Scheuern ( Schammfielen) an anderen Teilen geschützt werden sollen. Also die z.B. Vorderwanten, die Umlaufenden der Wanten und Stage, oder auch die Stropps mit denen die Junfern der Wasserstage am Schiffskörper oder am Sprit angeschlagen werden,.


    Aber bitteschön, das ist nur meine Meinung keine Auskunft eines Experten,

    To the optimist, the glass is half full.
    To the pessimist the glas is half empty.
    To the engineer, the glass is twice. As big as it needs to be.

  • [...]
    Aber bitteschön, das ist nur meine Meinung keine Auskunft eines Experten,


    Was für eine herrliche Untertreibung, werter Mr Angarvater... ;)



    Ich bin immer aufgeschmissen, wenn ich die britische Bezeichnung für die entsprechenden Teile nicht kenne. Allein der englische Begriff "deadeye" für Jungfer lässt schon wieder tief blicken...
    Äh ja - handelt es sich in Bondens Fall nun um die Fore-stay- oder die Bobstay collars? Bobstays "ziehen" den Bugspriet nach unten, und die Fore-stay's nehmen die Stagen von Fock- und Hauptmast auf. Ich gehe bei der Beschreibung mal von den Bobstay Collars aus; bei Darcy Lever heißt es dazu: "The Bobstay Collar, [...], Is wormed, parcelled, and served, having an Eye splices in each end. A Dead Eye is placed in the Blight, and a round seizing, is clapped on. " Lever, Darcy: The Young Sea Officer's Sheet Anchor, 2nd Edition, London 1819, p. 21.


    Dabei gibt Lever an, dass es egal ist, ob nun normale Jungfern oder Herzblöcke verwendet werden; Biddlecombe (The Art of Rigging, p. 16; Plate IV, Fig. 5, 9 - auf der Grundlage von D. Steel, s.o.) gibt dafür allerdings nur Herzblöcke an...


    Mondfeld schreibt dazu, dass "zum Spannen der Wasserstage wurden Jungfern, seit 1750 auch auf dem Kontinent mehr und mehr Dodshoofden [~ Hearts] verwendet." Mondfeld, W.: Historische Schiffsmodelle, München 2008, S. 294, 262.

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.

  • Ich danke euch für eure Beiträge. :danke:


    Dann kann ich also ganz beruhigt die Herzkauschen drin lassen. Und ich werde nicht die vollständigen Wasserstage kleeden, sondern nur dort, wo die Gegenkausche eingebunden wird.
    Die Löcher im Scheg für die Stage muss ich auch noch behandeln. Eins muss aufgebohrt werden, denn da geht maximal ein dünner Faden durch, aber kein kräftiges Stagtau. Das andere muss neu gebohrt werden, da Freddy mit seinen Quadratlatschen das eine Loch verdeckt. Hab schon versucht, ihn in eine andere Sitzposition zu bringen, aber das funktioniert nicht, dann sitzt er nicht richtig.


    Aber alles mit der Zeit; heute wird erst einmal der Besanmast hergestellt - um mal wieder ein wenig Abwechslung reinzubringen. ^^

  • Ahoi allerseits,


    das trübgraue Wetter an diesem Wochenende hat einen ja förmlich gezwungen, weiter am Schiffchen zu bauen. Da musste man mich auch gar nicht lange betteln. [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley220.gif]


    Zum einen war ja da noch der Besanmast zu bauen. Auch hier habe ich mir einen Rundstab aus dem Baumarkt geholt, da der, der dem Baukasten beilag, leider viel zu krumm war. Und auch hier habe ich selbstverständlich den Masttopp aus dem Holz herausgearbeitet, also nach dem alten Motto "das Runde muss eckig werden". [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley181.gif] Dann wieder die Wuhlinge legen, also die Umwickelungen des Mastes mit Tau und das jeweils eingefasst in Holzreifen - hier natürlich aus Karton. Diese Streifchen habe ich übrigens neu machen müssen, da die im Bausatz einfach zu kurz waren, obwohl der Mast genau den vorgeschriebenen Umfang hat - sonst würde er ja auch nicht in die entsprechende Öffnung im Deck passen. Aber wenn man es nicht hinbekommt, schmale Papierstreifchen zu schneiden, sollte man die Finger vom Kartonmodellbau lassen. [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley228.gif]
    Dann habe ich die restlichen Rüstbretter für die Masten bestückt; jetzt könnte es dann also so langsam losgehen mit dem Auftakeln. Probehalber wurden mal alle drei Untermasten eingesteckt und die Salinge draufgesetzt. Es sieht immer mehr nach einem Segelschiff aus! Und Käptn Jack Aubrey schaut interessiert zu, welch stolze Fregatte demnächst seine Surprise auf der Jagd nach Englands Feinden unterstützen wird.




    Und damit hat die Werft wieder Ruhe bis zum nächsten Wochenende.

  • Und ich höre Captain Aubrey direkt sagen: "Ich welch faszinierenden Zeiten wir doch leben."


    Was mich immer wieder beeindruckt und mit Neid erfüllt, ist die absolute Sauberkeit, mit der Du Deine Modelle baust. :hi:

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • @Angarvater und @Speedy : Danke für eure netten Kommentare!


    Hier ist die letzten Tage zwar nicht viel, aber doch einiges Berichtenswertes passiert. Als erstes dachte ich mal über meine Esse nach:
    Bekanntlich steht ja der Ofen unter dem Vordeck - hier sieht man ihn auf einem alten Bild nochmal in all seiner Schönheit, bevor er für immer unter der Back verschwand.


    Das hier ist die Esse, kurz nachdem sie vorschriftsmäßig nach Bauanleitung angebracht wurde, mit Rauchklappe, damit außerhalb der Nutzungszeit kein Wasser eindringen kann:


    Und nun folgende Überlegung: Schaut man sich Modelle von Schiffen der damaligen Zeit an, sieht man die Öffnung der Esse auf dem einen Schiff zum Bug, auf dem nächsten zum Heck zeigend. Da wurde ich stutzig. Was ist denn nun richtig? Heckwärts erschien mir unsinnig, denn im Gegensatz zu einem Motorschiff ist beim Segelschiff kein Fahrtwind entgegen der Fahrtrichtung vorhanden. Also würde der Wind den Rauch zurück in die Esse drücken, auch bei raumem, also seitlichem Wind. Andererseits wurde ja auch oft in der Kombüse gearbeitet, wenn das Schiff vor Anker lag, also konnte es da durchaus auch sein, dass der Wind aus einer vorderen Richtung kam und so also auch den Rauch wieder zurück in die Esse drückte. Ich machte mich anderswo schlau und bekam interessante Antworten. Die wichtigste Botschaft war die: In etwa in der Zeit, in der meine Mercury im Einsatz war, baute man die Rauchabzüge drehbar. So konnte man je nach Windrichtung immer dafür sorgen, dass der Ofen ordentlich arbeiten konnte. Um die Esse zu drehen, waren an beiden Seiten starke Griffe angebracht. Und solche Griffe hat die Esse meiner Fregatte jetzt auch, so!


    Ich musste dafür nur jeweils ein knapp 3mm langes, dünnes Stück Draht an beiden Enden um 90° abknicken und festkleben... Wenn ich morgen hier meinen Teppich absauge, wird es wieder dieses
    interessante Geräusch geben, was immer dann entsteht, wenn kleine Metallteile - viele kleine Metallteile! - wild wirbelnd gegen die Innenwand des Staubsaugerrohres klappern. :D
    Und so schaut es jetzt aus:


    Das war schon am vorigen Wochenende.


    Heute ging es in der Werft weiter. Nachdem ich nun auf der Backbordseite alle Rüsten fertig hatte - also nicht nur die drei großen, sondern auch noch drei weitere, kleine mit nur zwei bzw. am Besan nur einer
    Rüstjungfer (da werden später Pardunen befestigt), dachte ich mir, dass es ja an der Zeit ist, auch die Stückpfortendeckel anzubringen. Bei der Mercury sind das nur 5 Stück auf jeder Seite. Nun mag man sich fragen,
    wieso das denn - immerhin hat die Fregatte 12 Stückpforten. Die Frage beantwortet man sich am besten, indem man über den Zweck der Stückpfortendeckel nachdenkt: Außerhalb von Zeiten von Auseinandersetzungen mit feindlichen Kräften oder erhöhter Alarmbereitschaft waren die Kanonen innenbord fest verzurrt, gewissermaßen im Reisemodus. Damit kein Wasser, egal ob durch hohe Wellen oder durch Regen, ins Schiff eindringt, wurden die Geschützpforten verschlossen. Bei einem Schiff mit offener Kuhl wie der Mercury wäre es allerdings albern, die Pforten zu verschließen, wenn das Wasser bei Brechern und Regen ansonsten von allen Seiten kommt. Lediglich die hinterste Geschützpforte des vom Achterdeck überdachten, aber ansonsten offenen Hauptdecks bekam noch einen Deckel spendiert, warum auch immer.
    Das Herstellen der Pfortendeckel habe ich völlig vergessen zu dokumentieren, aber das ist nun auch nicht irgendwie dramatisch, drei Kartonvierecke müssen in der richtigen Reihenfolge übereinandergeklebt werden, dann kommen noch die Scharnierstreifen drauf. Was ich dann aber noch gemacht habe, war das Anbringen von vier kleinen Augbolzen, jeweils zwei auf der Vorder- und Rückseite. Mein Ziel ist, auf jeden Fall sowohl die Pfortenreeps, also die Taue, mit denen der Deckel geöffnet wurde, als auch die Verschlussreeps, also die zum Zumachen, anzubringen. Dabei muss man beachten, dass bei geöffneten Stückpforten die Pfortenreeps straff waren - klar, sie hielten den Deckel, damit er nicht unkontrolliert runterplumpst. Das Verschlussreep hängt hingegen leicht durch, da es ja in diesem Zustand keinen aktiven Zugkräften ausgesetzt ist. Im richtigen Leben ist der Geschützpfortendeckel mit einem Scharnier an der Bordwand befestigt. Bei meinem Modell sind die Scharniere ja nur angedeutet, der Deckel wird einfach an der oberen Kante mit Ponal Turbo eingeleimt und dann schnell, sauber und gründlich exakt an die Kante oberhalb der Geschützpforte geklebt.
    Meine Überlegung dabei war diese: Deckel ankleben, dann irgendwie zwei Taue oberhalb straff von den Augbolzen zur Bordwand bringen? Äußerst schwierig! Und zwei Taue mit leichtem Durchhang an die inneren Augbolzen anbringen und dann irgendwie durch die Stückpforten, aus denen ja blöderweise auch so komische Rohre ragen, im Schiffsinneren befestigen? Sehr äußerst schwierig!
    Also mal kurz nachgedacht und dann wie folgt verfahren: Zuerst einmal über jeder der in Frage kommenden Stückpforte zwei Löcher gebohrt, zur Aufnahme des Pfortenreeps. Dann wurde Amati-Takelgarn hell, 0,1 mm, an einem Ende mit Weißleim eingerieben und getrocknet, um es schön hart zu bekommen. Dieses Ende wurde dann durch das gebohrte Loch gefädelt. Nun kam ein Gedulds- und Geschicklichkeitsspiel: Nimm eine Pinzette und versuche, am Geschütz vorbei, im Inneren des Schiffes deinen Faden zu greifen. Hast du diesen dann nach gefühlten 37 Versuchen endlich erwischt, ziehe ihn durch die Stückpforte nach draußen, halte aber dabei unbedingt das andere Ende des Fadens fest! [Blockierte Grafik: http://www.die-kartonmodellbauer.de/wcf/images/smilies/smiley181.gif]
    Ist dies gelungen, sieht das so aus:

    Ich habe hier nicht mit Faden gegeizt, was sich als richtig herausgestellt hat.


    Jetzt wird der Stückpfortendeckel mit den beiden oberhalb der Stückpforte herausschauenden Fäden verbunden. Einmal durch den Augbolzen, einfacher Knoten, Ponal Turbo und das Ende kappen. Erst jetzt wird der Deckel an seinem Bestimmungsort angebracht; die aus der Stückpforte ragenden anderen Enden der Fäden helfen dabei gut - man drückt mit zwei Fingern der einen Hand den Deckel fest auf seine Klebekante und zieht mit der anderen Hand sanft an den beiden Fäden, wodurch das ganze Klebemanöver viel mehr Stabilität bekommt. So, und jetzt kommt der entscheidene Trick: Um das obere Reep straff zu halten, obwohl das untere, das ja hier trickymäßig ein und der selbe Faden ist, durchhängen soll, schmiert man vorsichtig mit einem mit Ponal Turbo versehenen Zahnstocher die innere obere Kante der Stückpforte ein und zieht dann den Faden straff dagegen. Ergebnis ist klar: Oben straff, unten kannste mit dem Tau machen was immer du willst. Nun noch vorsichtig die beiden Enden in die Augbolzen auf der inneren Seite des Deckels einbinden, Enden kappen, und fertig isses.


    Das liest sich alles schrecklich kompliziert - isses auch! :lt:
    Nee, Quatsch, es ist halt nur eine ziemliche Friemelei, die Fäden da durchzustochern und vor allem wieder ans Tageslicht zu befördern, aber das Ergebnis freut einen dann. Klar, man kann sich das auch leichter
    machen, indem man bereits frühzeitig daran denkt, dass man a) Öffnungen für die Pfortenreeps braucht und b) diese schon mal innen an der Bordwand, zu einem Zeitpunkt, zu dem dies noch geht, befestigt - aber
    mal ehrlich: Wer macht denn sowas? miffy


    Auf jeden Fall werden die jetzt noch fehlenden vier Deckel an dieser Seite schneller dran sein, und dann kommt noch die Steuerbordseite. Ist also jetzt mal wieder viel Fleißarbeit - aber nun habe ich ja einen Plan, wie es geht.

  • Die Friemelei macht Dir sichtbar und lesbar Spaß und das Ergebnis überzeugt.

    Gruß Christian


    Auf dem Zeichenbrett und in der Werft: Naval Cutter Alert, 1777
    "Behandle jedes Bauteil, als ob es ein eigenes Modell ist; auf diese Weise wirst Du mehr Modelle an einem Tag als andere in ihrem Leben fertig stellen."

  • Ja, ja, die Verschlußreeps!


    Ich hatte die bei der Aga glatt weg vergessen. Und zwar vollständig. Ergo: 2x 44 Augbolzen einbohren und montieren, dann 2x 44 Reeps takeln. Und so, daß die natürlich schon am Schiff angebrachten Pfortendeckel nicht ramponiert werden.


    Immerhin, das trainiert die Feinmotorik ein wenig, insbesondere beim Hantieren mit Pinzetten.

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  • Ja, das stimmt, es macht Spaß! Sonst würde ich es ja nicht machen. Und, Angarvater, ich leide noch nachträglich mit dir! Aber Respekt, dass du sie noch angebracht hast - man sieht recht viele Modelle, wo sich der Erbauer diese gespart hat.


    Ach, Kinners, da draußen tobt der Frühling, so dass ich beschlossen habe, meiner Mercury auch ein wenig Sonne zu gönnen. Und ihr bekommt noch ein paar Bilder zu sehen - gebt es doch zu, genau das wollt ihr doch, stimmt's? :wink:8)






  • Schöne Friemelei. Die Ausbildung zum Neurochirurgen soll helfen....


    Aga

    Gentlemen, when the enemy is committed to a mistake, we must not interrupt him too soon.

    Adm. Horatio Nelson

  • @Aga Hab schon im Dresdner Uni-Klinikum Bescheid gesagt - wenn sie mal jemand brauchen, so als Urlaubsvertretung oder so, ich wäre dann bereit. :D




    Was mir noch nicht gefallen hat, war die untere Linie der gekröpften Glieder an den Großmastrüsten. Die hatte ich zuerst gebaut, und da ist mir noch nicht so richtig bewusst gewesen, dass dafis Ätzteile dadurch, dass die mittleren Rüsteisen alle unterschiedliche Maße haben, viel mehr Möglichkeiten bieten. Nun, das ließ sich jetzt nicht mehr neu bauen, aber ich habe dennoch eine Lösung gefunden, dort optisch nachzubessern. So sah es vorher aus:


    Ich habe einfach die untere Öse aufgeschnitten,


    die Enden zurechtgebogen, dann den Befestigungsstift eingesetzt, nachkorrigiert und festgeleimt. So schaut's allemal besser aus:


    Die Stückpfortendeckel sind jetzt alle dran - somit habe ich die Backbordseite rumpftechnisch soweit fertig, dass es bald ans Auftakeln gehen kann, und für die Steuerbordseite habe ich jetzt ausreichend Übung, so dass es nicht mehr lange dauert, bis die ersten Wanten stehen. Hoffe ich mal...


    Das Schiff auf meinem Desktop zeigt übrigens die Hendrika Bartelds, auf der ich in 4 Wochen für 8 Tage auf der Ostsee umhersegeln werde. :ban::el::geil:

  • Heute gibt es wieder mal etwas zu vermelden von meiner Werft.


    Aber zuvor noch ein Wort zur Fachliteratur: Ich schaue ja regelmäßig in die bekannten M+M-Bücher. Also den Mondfeld (Historische Schiffsmodelle) und den Marquardt (Bemastung und Takelung von Schiffen des 18. Jahrhunderts). Nun habe mir vor einigen Wochen noch ein Buch zugelegt - und das ist ja schlicht und ergreifend der Hammer! Klaus Schrage - Rundhölzer, Tauwerk und Segel . Schrage beschreibt und erklärt jedes Detail der Takelage am Beispiel dreimastiger Kriegsschiffe mit 18 bis 110 Kanonen, die von den Engländern gegen Ende des 18. Jahrhunderts gebaut wurden. Jede Menge exzellente, detailreiche und kaum eine Frage offen lassenden Zeichnungen zeigen genau, wie und warum welche Teile wo und wann hingehören. Also in Kombination mit den beiden M's kann jetzt nichts mehr schief gehen, hoffe ich. Also zumindest, was die historische Korrektheit anbelangt - was man als Modellbauer daraus macht, liegt dann nicht mehr bei den Buchautoren.


    Nachdem ich ja neulich schon die beiden Stagkragen für die Wasserstage hergestellt habe, wurde es nun Zeit, diese beiden ersten Taue des stehenden Gutes zu setzen. Damit klar wird, welchen Zweck das Wasserstag erfüllt, zitiere ich mich hier mal selbst, dann muss ich nicht alles wiederholen:


    Zitat von Bonden

    Wasserstage... Beginnt man mit dem Takeln, sind diese in aller Regel mit das Erste, was man anbringt. Wasserstage dienten dazu, die Zugkräfte, die das Fockstag und das Großstengestag auf den Bugspriet ausüben, aufzunehmen.
    Die Mercury hat zwei Wasserstage; größere Schiffe fuhren drei. Wie jedes Stag besteht auch das Wasserstag aus dem eigentlichen Stagtau und einem Stagkragen. An jeweils einem Ende ist eine Jungfer oder eine Herzkausche eingebunden, die dann mit Taljereeps verbunden werden. Klingt jetzt für den unbedarften Laien wahrscheinlich reichlich verwirrend, ist aber gar nicht schlimm.


    Um auch alles richtig zu machen, werfe ich wieder so drei bis acht Blicke in den Schrage, der mir sagt, dass die Wasserstage über die gesamte Länge gekleedet waren. (Also auch noch getrenst und geschmartet. Getrenst: Mit dünnen Tauen werden die Keepen gefüllt, also die Vertiefungen, die so ein geschlagenes Tau zwangsläufig zwischen den einzelnen Kardeelen vorweist. Ist beim Modellbau und noch dazu in diesem Maßstab entbehrlich. Ebenso entbehrlich ist hier das Schmarten, also das Umwickeln des Taues mit dünnen, in Teer getränkten Segeltuchstreifen.) Also kleede ich Garn mit meiner neuen Maschine und fertige die beiden Stage. Dazu binde ich eine Herzkausche - als Gegenstück zu der im Stagkragen - in das Stagtau ein. Ich mache das wie folgt: Der breitere Rand der Herzkausche wird mit Ponal Turbo bestrichen und dann fest an mein Stagtau gedrückt, so etwa in den Beginn des zweiten Drittels der Länge des Taus. Nun kommen die beiden Seiten dran; auch hier wird das Tau festgeklebt. Jetzt schiebe ich das längere Ende des Taus durch das vorgesehene Loch im Galionsscheg. Auf diesem Bild sieht man, wie das zu diesem Punkt aussieht:

    (Der Kranbalken fehlt, wie ihr seht, der ist mir abgegangen. Wird ihm jetzt nicht wieder passieren, er ist zusätzlich zum Turbo-Kleber mit einem dünnen Eisenstift arretiert.)
    In der Bildmitte verschwindet nach hinten das längere Ende. Hier kommt jetzt der spannendste Teil: Die beide losen Enden werden so abgeschnitten, dass sich die Enden jetzt dicht unterhalb der Herzkausche berühren. Im Echtbetrieb wurden die Enden verspleißt; hier tut es ein Tropfen Ponal Turbo. Anschließend werden genau an dieser Stelle die beiden Seiten des Stages verzurrt, in dem sie mit dünnem schwarzen Garn dicht an dicht in mehreren Lagen umwickelt werden und diese Augbindselung genannte Befestigung dann noch mit zwei bis drei Schlägen quer über diese Umwicklung vollendet wird.
    Leider habe ich in der Hitze des Gefechts vergessen, zwischendurch mal Fotos zu machen. Was mir so gar nicht richtig gefallen wollte, waren die beiden Tauhälften, die außer der Bindselung am oberen Ende jedes für sich standen. Da schaute ich mal zur Sicherheit noch in den Mondfeld, und der meinte, dass die beiden Stränge zwischendurch mehrfach verzurrt waren. Also verzurrte ich tapfer und fand das dann auch besser.
    Wichtig ist, dass man hierbei auf ein gesundes Längenmaß achtet. Hat man dies getan, kann man nun mit Taljereeps - dünnen Tauen, deren eines Ende man oberhalb der Herzkausche im Stagkragen befestigt und dann mit mehreren Rundschlägen durch beide Herzen holt - das Wasserstag straff mit dem Bugspriet verbinden. Das freie Ende des Taljereeps wird dann hinter der Herzkausche am Stag befestigt.


    So, und nachdem ich euch jetzt wahrscheinlich mit meinem Fachchinesisch total kirre gequatscht habe, gibt's zur Entspannung zwei Bildchen, wie das alles jetzt aussieht.


    Tja, und schon ruht die Werft wieder bis zum nächsten Wochenende.

  • Schick, schick!
    Deine Erklärungen sind wieder super.


    Aga

    Gentlemen, when the enemy is committed to a mistake, we must not interrupt him too soon.

    Adm. Horatio Nelson

  • Ja, wirklich toll erklärt (zum Glück bin ich noch Lichtjahre von jeglicher Takelei entfernt). Was mir aber wieder ins Auge sticht, ist diese phantastische Bekupferung. :bravo:

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Sehr schön gearbeitet und sehr gut erklärt!


    Respekt,Respekt.


    Cheerio Angarvater

    To the optimist, the glass is half full.
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    To the engineer, the glass is twice. As big as it needs to be.

  • Und bei der Gelegenheit habe ich eine Frage an die vielen Fachleute: Liegt bei meinem Modell ein Konstruktionsfehler seitens Shipyard vor oder müssen die Matrosen echt gut im Klettern sein (was ja Matrosen im allgemeinen sind), wenn sie auf das Vordeck wollen? Das ist mir heute so aufgefallen, dass da keine Leiter ist, auch keine vorgesehen ist, und so richtig wüsste ich auch gar nicht, wo die dann hinkommt. Wieso das Gangbord nicht bis zum Vordeck reicht ist mir auch unklar - blöd nur, dass mir das erst jetzt auffällt. Ich vergleiche ja gern mit der Pandora, aber da ist das etwas anders, das Vordeck steht ein wenig über, darunter ist ein Geschütz, und zwischen diesem und dem nächsten ist eine Leiter.


    Hi Bonden,


    ich bin am Wochenende mal wieder etwas länger in Deinem Baubericht unterwegs gewesen. Da fiel mit die obere Textpassage aus dem anderen Forum auf.
    Das Frontschott wie von Shipyard gezeigt ist meiner Meinung nach richtig. David Antscherl verweist in seinen Buch (Band 2) zur Swan Class auf zeizgenössiche Modelle.


    Shipyard zeigt in seinem Plasatz zur Enterprize im Längsschnitt Leitern. Bei Interesse schicke ich Dir gerne einen Ausschnitt per Mail zu.


    Ob der Laufsteg nicht doch bis zur Back reichen muss, kann ich in der Verkleinerung des Originalplans im NMM nicht erkennen.

    Gruß Christian


    Auf dem Zeichenbrett und in der Werft: Naval Cutter Alert, 1777
    "Behandle jedes Bauteil, als ob es ein eigenes Modell ist; auf diese Weise wirst Du mehr Modelle an einem Tag als andere in ihrem Leben fertig stellen."

  • @AnobiumPunctatum Das wäre super, wenn du mir das mal schicken könntest, danke! Mail-Addy kommt per PN.


    @Aga, @Speedy, @Angarvater Danke für euer Lob, freut mich immer wieder, wenn es anderen gefällt, was ich hier zeige. ^^


    Und jetzt:


    Ha! Hurra! Thema Farbgebung: Ich habe mich ja entgegen den Vorgaben von Shipyard dafür entschieden, die lt. Bauanleitung blau mit goldenen Verzierungen versehenen Seitenstreifen in ein freundliches Schwarz zu kleiden. Und das war goldrichtig! In einem Expertenforum für historischen Schiffsmodellbau fand ich das hier:

    Zitat

    Gemäß einer Navy Board Order von 1715 sollten Linienschiffe zwischen den "rails" aus Kostengründen schwarz gestrichen werden. Blaue Farbe und Friesmalereien waren lediglich Flaggschiffen vorbehalten. Diese Order galt übrigens bis 1780 und wurden offenbar auch strikt eingehalten.


    Die wussten damals schon: Black is beauty. :huzzah: