HMS Mercury - Fregatte der Enterprize-Klasse; Shipyard-Kartonmodell, 1:72

  • Ich sehe, Du behältst Dein hohes Tempo aufrecht @Bonden. :thumbup:

    Zwangsläufig - dabei finde ich die ärztlich verordnete Ruhe und kann wunderbar ab- und die derzeitigen gesundheitlichen Unbillen für eine Weile gedanklich auschalten. Dennoch wünschte ich, es wäre anders...


    Aber wir sind hier ja nicht bei "Wünsch dir was", sondern bei "So isses!" :evil:^^


    Derzeit bereite ich das Setzen und Auftakeln der Großstenge vor. Hier ist noch ein bisschen mehr Vorarbeit nötig als bei der Besanstenge.
    Auf jeden Fall hat es wieder einen kontrollierten Abriss gegeben: Wie schon am Besan habe ich auch an der Marsplattform des Großmastes das Geländer vorsichtig entfernt. Zum einen werde ich auch das neu machen, zum anderen brauche ich einfach den Platz, um die Marswanten und später auch die Bramwanten zu setzen. Die Geländer kommen dann später wieder dran. Und das Geländer am Fockmast guckt schon ganz ängstlich und duckt sich zitternd zusammen wie jemand, der im Wartezimmer beim Zahnarzt sitzt und aus dem Behandlungsraum quälende Bohrgeräusche und schmerzhaftes Stöhnen hört. :D


    Bevor ich euch zeige, was da so an Kleinkram zu tun ist, kurz was anderes: Ich bin schon eine Weile nicht mehr so richtig zufrieden mit meiner Arbeitsplatzbeleuchtung. Erst dachte ich, ich bräuchte eine neue Brille, aber dann habe ich gemerkt, dass immer dann, wenn ich kleinste Teile etwas dichter ans Licht hole, ich alles noch immer supergut erkennen kann. Und so habe ich mir diese tolle Lupenlampe geleistet:



    Die beiden Arme sind jeweils 45 cm lang; die Lupe hat einen Durchmesser von 12 cm, da kann man wunderbar durchschauen, ohne sich die Augen zu verbiegen oder gar ein Auge zukneifen zu müssen, was ein räumliches Seherlebnis und damit auch bequemes beidhändiges Arbeiten möglich macht. Ich habe gestern zum Beispiel unter dieser Lupe für drei Wantpaare die Augen mit einer Plattbindselung versehen, und die sehen richtig gut aus. Durch die Möglichkeit, die Lampe in alle Richtungen bewegen zu können, leuchte ich auch die höchsten Punkte meiner Mercury aus, wie ein Testbild mit aufgesetzten Mars- und Bramstengen am Großmast zeigt. Die Lichtausbeute insgesamt ist auch super - ihr merkt, ich bin rundum zufrieden.


    So, dann zeige ich noch den Rest dessen auf, was gestern in Vorbereitung auf das Setzen der Marsstenge am Großmast getan wurde: Die Jungfern für die Wanten wurden ausgekeept, Wanttaue geschlagen, gekleedet und entsprechend eingebunden (siehe oben), Augbolzen am Eselshaupt befestigt sowie zwei erforderliche, aber von Shipyard im Bausatz nicht vorgesehene Scheibenklampen für den Stengetop hergestellt und angebracht. (Für Schrage-Leser: S. 33, Abb. 40 und 43).




    Jetzt muss noch der Stengehanger hergestellt werden, dann kann es losgehen mit der Großstenge.

  • Alle Stengen haben ein Schlossholz. Das ist ein ein vierkantiges Stück Holz oder Eisen, welches durch ein Loch im Stengefuß, dem Schlossholzgat, gesteckt wurde. Auf ihm ruhte die gesamte Last der Stenge; es lag auf den Längssalingen auf. Für meinen ja doch recht kleinen Maßstab hatte ich hier einfach ein Stück dicken Blumenbindedraht vorgesehen. Aber was an der echt dünnen Stenge des Besan noch angeht, hat mir dann an der Großstenge nicht mehr gefallen. Und so unternahm ich einen lustigen Ausflug in das Reich der Holzwürmer: Ich klemmte einen Zahnstocher in meinen Schraubstock und feilte mit einer Schlüsselfeile ein Ende viereckig. Den Stengefuß bohrte ich vorsichtig auf, bis ich mein eckig gefeiltes Stück Zahnstocher da durchstecken konnte. Und angemalt sah es dann recht ordentlich aus; auf dem Bild liegt neben der Stenge das Stück Draht, welches vorher im Stengefuß stak.
    Wer alle David-Winter-Romane gelesen hat, weiß hinlänglich und mindestens 5x um die Bedeutung des Schlossholzes, denn auch unser aller Lieblingsstenge hat ein solches. :D



    Und dann aber:


    Power-Wanting!


    Das hat heute ungemein Spaß gemacht. Zuerst wurde die Marsstenge aufgesteckt und das Eselshaupt festgeleimt, und dann griff ich zu meinen vorbereiteten Wantenpaaren. Über den Stengetop legen, Jungfer nehmen, Wanttau drumlegen, Höhe prüfen, korrigieren, gut finden, festhalten, vorsichtig vom Mast nehmen, immer noch festhalten, mit einem Tupfer Ponal Turbo die Jungfer am Tau fixieren, provisorisch zwei vertikale Schläge mit dünnen Garn um den Kreuzungspunkt der Wanten, festkonten, über den Masttop hängen, mit Probetaljereep die Höhe prüfen, gut finden, fertig einbinden. Und nach jedem Wantpaar ging es rüber auf die andere Seite, immer im Wechsel. Vier Wantpaare - das war ein wenig wie die Biathlon-Staffel: Nach jedem Wechsel kam es wieder darauf an, zweimal alles genau zu treffen. :D Ich hatte einen richtigen Lauf, alles passte auf Anhieb, und nach nicht mal 2 1/2 Stunden standen alle 8 Wanten der Großstenge. Ich war selbst überrascht, wie flink das heute ging.


    Und so wächst meine Mercury weiter in die Höhe.


    Morgen widme ich mich dann den Pardunen; das bedeutet ein wenig mehr Aufwand als beim Besan. Wird spannend - ich freu mich drauf! ^^

  • Hallo Bonden


    Das sieht wieder fantastisch aus. Und geht in Eiltempo voran...so Zwangsurlaub hat durchaus sein Gutes!
    Dennoch gute Besserung!


    LG
    Peter

  • sowie zwei erforderliche, aber von Shipyard im Bausatz nicht vorgesehene Scheibenklampen für den Stengetop hergestellt und angebracht.

    @petcarli meinte andernorts, sie sehen recht gut aus. Ja, Recht hat er, sie sehen recht gut - aber mehr auch nicht. Jedes Mal, wenn ich sie mir angeschaut habe, gefielen sie mir weniger. Und so habe ich heute mal wieder einen kleinen Ausflug ins Reich der Holzwürmer unternommen und mit einer Schlüsselfeile ein Stück Holz malträtiert. Außerdem gefiel mir nicht, dass da, wo normalerweise Scheiben sind - daher ja auch Scheibenklampen - hier nur die dünnen Stücke der abgeschnittenen Nadeln zu sehen sind. Aber auch das Problem wurde gelöst: Ich habe einfach zwei von meinen selbst gefertigten kleinen Kauschen auf die Metallstifte geschoben, und schon sieht es gut aus.
    Links im Bild die neue, rechts noch die alte Scheibenklampe. Da feile ich aber auch bereits am Holz. Und es kommt dem Original wesentlich näher, wie ein Blick in den Schrage zeigt.

  • Aye, Admiral,


    ist doch gut geworden. Ansonsten müßte man so etwas bei einem Korrespondenzpartner ordern. So what?


    Angarvater

    To the optimist, the glass is half full.
    To the pessimist the glas is half empty.
    To the engineer, the glass is twice. As big as it needs to be.

  • Morgen widme ich mich dann den Pardunen; das bedeutet ein wenig mehr Aufwand als beim Besan.

    Das schrieb ich ca. vor einer Woche. Nun, es hat dann doch etwas länger gedauert als ich dachte. Fock und Großmast haben lt. Schrage an jeder Seite jeweils 4 Pardunen. Vorderpardune, zwei stehende Pardunen und eine fliegende Pardune. Sinn und Zweck hab ich ja bereits in Posting 521 erläutert. Ich bereitete alle Pardunen vor und hängte sie mal lose über den Stengetop, dann fertigte ich noch die beiden Stage, zog diese mal probeweise straff, um zu sehen, was das mit den Stengewanten macht (so gut wie gar nichts) und nahm alles wieder runter. Dann zog ich die Taljereeps der Wanten nochmal etwas nach und fixierte sie endgültig. Und was folgte dann? Richtig, Webleinen einziehen!

    216 Knoten später hatte sich das auch erledigt.


    Jetzt, so dachte ich, geht es schnell. Die vorbereiteten Pardunen anbringen, dann die beiden Stage, und die Großstenge wäre dann fertig. Dachte ich.
    Für die zwei stehenden Pardunen sind noch freie Jungfern auf dem Rüstbrett, die fliegende wird mittels Talje und Haken an das Ende des Rüstbrettes in einen Augbolzen eingehakt. Verzweifelt bin ich dann an der Vorderpardune. Die soll mit Manteltakel an den vorderen drei Rüsteisen festgesetzt werden. Kein Problem, die Takel vorbereitet und los. Aber dann. Es gibt wie bei jeder Talje eine holende Part, also das Ende, an dem man die Talje straff zieht - und das man dann irgendwo festmacht. Und das ist bei meiner Mercury schlichtweg sinnvoll nicht möglich. Ich will da gar nicht weiter ins Detail gehen, aber es ist wirklich so. Letztendlich habe ich mich dann in einem Expertenforum ( ^^ ) schlau gemacht und mir dort das bestätigen lassen, was ich innerlich auch schon für mich festgelegt hatte: Ich lass diese blöden Vorderpardunen weg.
    Das wiederum schien mir mein Schiffchen übel zu nehmen. Als ich die letzte der vier stehenden Pardunen straff ziehen wollte, flog mir die Jungfer samt Rüsteisen aus dem Rüstbrett. :cursing: Aber auch das wurde dann wieder repariert.


    Spannend gestaltete sich dann noch das Anbringen der beiden Stage. Wie auch schon bei den Untermasten bekommen die Stage am oberen Ende ein schönes, gekleedetes Auge mit einer Stagmaus. Das dickere Großstengestag wird zuerst um den Top gelegt und dann durch einen Leitblock am Top des Fockmastes nach unten zum Deck geführt. Dort wird es mittels eines Takels, welches in einen Augbolzen neben dem Fockmast eingehakt wird, festgemacht.


    Das dünnere Großstengeborgstag wird danach aufgelegt; da es aber später auch als Segelstag dient, wird sein Auge von unten durch das des Großstengestags geführt und über diesem um den Stengetop geführt.

    Für dieses Stag sitzt dann einen Kragen mitLeitblock an der Achterkante des Fockmastes an Deck; die Befestigung dort war genauso wie beim Großstengestag.


    Das bedeutet, dass an die Stagenden jeweils ein Violinblock eingebunden werden muss. Man hat also mal wieder die Wahl, was man "an Land" und was an Bord fertigt. Stagauge mit Maus oder Violinblock einbinden? Nun, die Entscheidung fällt nicht schwer. Und zum Glück ist das Stag lang genug. Auge vom Top nehmen, das Ende so weit es geht nach unten ziehen, und siehe da, man kann bequem mit der neben das Schiff gestellten dritten Hand den Violinblock einbinden.


    Für das andere Ende der Talje wurden an einem einscheibigen Block an einer Seite ein Haken und an der anderen Seite das Taljereep befestigt. Nun das Reep durch das untere Loch des Violinblockes, dann durch den Einfachblock, hoch zum oberen Violinblockloch, dann durch den Augbolzen an Deck und anschließend straff ziehen und mit ein paar Rundschlägen um das Reep festsetzen. Der Platz dafür war ein wenig eng, aber am Ende sah es dann so aus:


    Tja, und damit ist dann die Großstenge erst einmal fertig bearbeitet; nun geht es zur Fockstenge.

  • Eine Augenweide, ich bin immer wieder überrascht, wie der Kartonrumpf die auf ihn wirkenden Kräfte verarbeitet.

    Gruß Christian


    Auf dem Zeichenbrett und in der Werft: Naval Cutter Alert, 1777
    "Behandle jedes Bauteil, als ob es ein eigenes Modell ist; auf diese Weise wirst Du mehr Modelle an einem Tag als andere in ihrem Leben fertig stellen."

  • Lustig, auf was man manchmal so aus Zufall stößt. Da finde ich andernortes dieses Foto, aufgenommen an Bord der französischen Hermione. Klick mich! Und auf mein Erstaunen, dass die Wanten dort getrenst sind, erklärt man mir, dass das so nach 1800 üblich wurde, stehendes Gut und besonders segelführende Taue, also Stage, getrenst wurden, Ankerkabel sogar schon ab 1720 - 1730. Das hatte den angenehmen Effekt, dass die Taue beim Durchziehen durch eine Klüse oder eine Kausche nicht so sehr in Mitleidenschaft gezogen wurden. In meine Erleichterung über die Tatsache, dass meine Mercury von 1779 war und ich also nicht nochmal von vorn anfangen muss mit dem stehenden Gut :D , krächzte dieses kleine Teufelchen auf meiner linken Schulter: "Und was ist mit dem Ankertau?" Und der kleine Engel auf der anderen Schulter flüsterte mir ins Ohr: "Sieht bestimmt viel besser aus!"
    Tja, was soll man da machen? Das Ankertau war ja bereits geschlagen, aus 3x 1,5mm Amati. Also spannte ich das in meine Kleedemaschine, klebte in jede der Keepen einen 0,25mm Amati-Faden, hielt diese drei Fäden mit einer Hand straff und kurbelte mit der anderen Hand langsam drauflos. Den Motor ließ ich hier bewusst aus. Meine Lupenlampe war mir dabei eine sehr große Hilfe. Und wenige Augenblicke später hatte ich ein Ergebnis, mit dem ich so richtig zufrieden bin!


    Schon verrückt, was man mal eben so nebenbei lernt... ^^

  • Mann, Bonden,


    Jetzt wird mir plötzlich klar warum mir die Ankertrossen an meinen Schiffen immer irgendwie unwirklich vorkamen, denn wer lässt denn so ein ruppiges Teil ungetrennst durch die Klüse Rauschen.


    Klasse! Wieder was gelernt.


    Angarvater

    To the optimist, the glass is half full.
    To the pessimist the glas is half empty.
    To the engineer, the glass is twice. As big as it needs to be.

  • Ja, so ein Ankertau sollte auf jeden Fall getrenst sein. Und tatsächlich, das schaut richtig gut aus.


    Aber diese Vorderpardune... Warum lässt sie sich nicht sinnvoll befestigen? Und welche Funktion hat sie eigentlich, dass man so einfach auf sie verzichten kann?
    Und nein, jetzt bitte nichts kaputt machen. Ich will es nur verstehen.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Das ist nicht mehr Können, sondern schon Kunst! 8o
    Sieht wahrhaft toll aus. :thumbup:

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.