Posttraumatisches Belastungsstörung (PTBS) in der Zeit der Seeschlachten?

  • Moin zusammen,


    neulich kam mir beim Lesen von Hornblower Der Kapitän und An Spaniens Küsten ("... er entsann sich eines anderen Schiffsjungen, der, von einem Geschoß der Natividad getroffen, vor seinen Augen zu einer unförmigen Masse zermalmt worden war." oder "Aus den Speigatten des Dreideckers hervor zogen sich dunkle Streifen über dessen Seiten; Hornblower erriet, daß es Blut war, was er dort sah.") der Gedanke, dass die damaligen Seegefechte und Seeschlachten eine aus heutiger Sicht unfassbar brutale Angelegenheit waren, insbesondere wenn man z.B. als Kanonier in einem niedrigen, mit Qualm und den Schreien der Verwundeten gefüllten Geschützdeck stand und dort über Stunden feindlichen Beschuss aushalten musste.


    Aus der Zeit des Ersten Weltkriegs (und vorher teilweise aus dem amerikanischen Bürgerkrieg) ist das Phänomen der Kriegszitterer bekannt, das man heute als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) bezeichnen würde.

    Gibt es Berichte über Fälle von Seeleuten oder Offizieren, die aus Seegefechten oder Seeschlachten mit psychischen Störungen herauskamen? Oder gab es im Age of Sail keine solchen Fälle, weil die Kämpfe zwar hart und blutig waren, aber eben doch nur eine begrenzte Zeit von einigen Stunden dauerten (während die Soldaten im Schützengraben des WW1 das feindliche Feuer über Tage und Wochen aushalten mussten)?


    Was meint ihr dazu?

  • Solche Fälle gab es garantiert. Nur wird man sie kaum so behandelt bzw überhaupt erkannt haben. Da war man dann einfach "verrückt".

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.

  • Klar wird es die gegeben haben.

    Zu jeder Zeit.

    Ehandlung war dann aber gleich Null, oder wegsperren oder Laudanum…


    Aga

    Gentlemen, when the enemy is committed to a mistake, we must not interrupt him too soon.

    Adm. Horatio Nelson

  • Ich habe mal einen Bericht im Fernsehen gesehen, in dem das in Bezug auf Schlachten wie Waterloo angesprochen wurde. Dieses Krankheitsbild war gänzlich unbekannt und solche Leute galten einfach als zu schwach oder verrückt geworden. Und wurden sich selbst überlassen. Und dem Alkohol. Der war, gerade bei der Navy, ja eh ein ständiges Problem. Alleine die täglichen Rationen hielten die Leute ja schon auf einem Level, der jenseits von gut und böse aus heutiger Sicht war. Die Leute dürfte viele derartige Belastungen einfach weggesoffen haben. Und gerade bei den gefährlichen Arbeiten an Bord mit besoffenem Kopf, dürften auch tödliche Unfälle nicht selten gewesen sein. Oder Selbstmorde.


    Wobei zu dieser Zeit auch das "normale" Leben viel gefährlicher, gewaltvoller und brutaler war, als wir es uns vermutlich wirklich vorstellen können. Man denke nur an die Auspeitschungen. Auch das dürfte einen Einfluss gehabt haben und abhärten oder eher abstumpfen.

  • Ich bin mir da nicht so sicher, dass es PTBS wirklich in dem Ausmaße gab wie heute (wenn überhaupt). Es war doch ein vollkommen anderes Leben, als wir es heute kennen. Der Tod war allgegenwärtig und ein Teil des Lebens. Man lebte damit, dass andere starben und man selbst auch jederzeit sterblich war. Was den Alkohol betraf, so muss man auch sehen, dass es ja nicht gerade ungefährlich war, irgendetwas ohne Alkohol zu trinken. Gerade die Wasserfässer auf einem Schiff waren doch Biotope.

    Ich persönlich glaube, dass erst die Industrialisierung des Krieges, beginnend mit dem Krimkrieg solche Krankheitsbilder wie PTBS hervorbrachten.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Sorry, aber das es PTBS früher nicht gab halte ich für ganz großen Mumpitz.


    Nur weil man über etwas nicht redet ist es nicht weg.


    PTBS ist so alt wie der Mensch.

    Wenn in der Steinzeit dein Kumpel, vor deinen Augen von nem Bären zerfetzt wurde und dir sein Blut und seine Innereien um die Ohren flogen während er qualvoll minutenlang geschrien hat, dann hat Fred Feuerstein die Bilder auch sein Leben lang nicht mehr aus dem Kopf gekriegt.

    Der hat vielleicht wieder mit nem Bären gekämpft weil er es musste, aber so was kommt dich jede Nacht besuchen.

    Selbst Tiere können PTBS kriegen.


    Hier mal ein kleines Beispiel wie alt PTBS ist Klicksemichse

    "We all came from the sea and it is an interesting biological fact that all of us have in our veins the exact same percentage of salt in our blood that exists in the ocean, and, therefore, we have salt in our blood, in our sweat, in our tears. We are tied to the ocean. And when we go back to the sea - whether it is to sail or to watch it - we are going back from whence we came."

    John F. Kennedy

  • Zufällig habe ich vor Kurzem einen Infopost dazu gelesen (hoffentlich finde ich ihn wieder), was die nicht weniger grausamen Behandlungsmethoden anging. Häufig bestand die aus Lobotomie - mit noch fatalaren Folgen für die Patienten.

    ~*~ "Und nun meine Herren, genug der Bücher und Signale." ~*~ Richard Earl Howe, 1. Juni 1794.

  • Danke Jethro Tyrell für den Link.

    Natürlich gab es PTBS in damaliger Zeit. Es gibt aus allen Epochen Berichte von traumatisierten Soldaten nach Kämpfen.
    Soldaten die Apathisch, oder zitternd in der Gegend rumsassen.

    Ja, vieles wurde mit Drogen abgemildert oder besser verdeckt, behandelt aber nicht.

    Vielleicht haben die Menschen noch "funktioniert", aber krank bleieben sie.


    Aga

    Gentlemen, when the enemy is committed to a mistake, we must not interrupt him too soon.

    Adm. Horatio Nelson

  • Wenn manch mich in der alten Geschichte in der Richtung umsehe fällt mir auf, daß die Symptome der PTBS als dem "Heldentum" zugehörig angesehen wurden. Der seine Pflicht getane alte Kämpfer wird hoch geehrt und als besonders erfahren und weise angesehen. Seine Deformationen und, das was man heute als Verhaltensstörungen bezeichnen würde, galten als "normal". Im sogenannten klassischen Griechenland galt der alte Spruch des Zeus, daß der Krieg der Vater aller Dinge sei.Auch die Religion des "alten" Griechenlandes besteht ja nur aus ständigen Kämpfen, die ohne Erbarmen geführt wurden. Die mit solchen Kämpfen einhergehende psychische Schädigung wird, wenn man sie daraufhin mal genau ansieht, im Trojanischen Krieg gut dargestellt. Je länger der Krieg dauert, desto bestialischer und erbarmungsloser werden die als besondere Taten dargestellten Tötungen.


    Odysseus ist ein Beispiel. Als er nach der langen Zeit der Kämpfe wieder zu Hause ankommt muß er um seine Frau und damit um sein Königreich in einem Wettkampf bestehen. So weit, vielleicht auch noch gut. Nach seinem Sieg macht der, vom Krieg Geformte, der Sache nicht mit einem Handschlag mit den Unterlegenen ein Ende, sondern er erschießt die Unterlegenen.


    Oder Rom: abgesehen von Cato dem Älteren ( Dauerspruch: delendam Carthago!) als erbarmungslosem Kriegstreiber, ist auch beim hochgelobten Gaius Julius Caesar in seinen Kriegsberichten zu lesen, daß seine Kampfmethoden im Verlaufe der langen Kriegsgeschichte immer brachialer wurden. Von der Niederkämpfung der Heerhaufen der Stämme bis hin zur Ermordung ganzer Völkerschaften. Caesar veränderte sich im Laufe der Feldzüge immer mehr. Unter Umständen durch ein bei ihm auftretendes PTBS, da er häufig unmittelbar in den Kämpfen handgemein werden mußte. Und die Legionäre? Bei 20Jahren Dienstzeit mit einer großen Zahl an Kampfeinsätzen dürfte die Männer ebenso geschädigt gewesen sein. Das fiel kaum auf, da die Legionäre sich fast nur im Dunstkreis der Legion bewegten. Gleicher unter gleichgeschädigten.


    Und so weiter und so fort. M.E. wurden die Staatsgesetze und die Ethik der Staaten bis zur Demokratisierung der Völker überwiegend von Veteranen gemacht. Im übrigen war die Anzahl der Soldaten bis zur Französischen Revolution im Verhältnis zur Bevölkerungszahl sehr klein. Der zitterige, arbeitsunfähige "abgehalfterte" alte Soldat ging niemanden etwas an, und werde bestenfalls, wenn er denn bettelte, mit kleinsten Almosen bedacht. Ein Zitat aus einem bitteren Soldatenlied der Zeit ( Oh König von Preußen) bezogen auf Fürsorge des nicht mehr verwendbaren Veteranen: ... die Kräfte sind dahin. Geh Alter nimm den Bettelsack bist doch Soldat gewest


    Erst durch die allgemeine Wehrpflicht mit den aufeinander treffenden Massenheeren wurde der Seelische Zustand der Überlebenden für viele sichtbar, und da man ihn als Krankheit ansah mit heute unvorstellbaren Methoden behandelt. (siehe Anmerkung von Richard Howe. Auch das Britische Heer reagierte, zumindest in der Anfangszeit des WW1, brachial auf im Gefecht psychisch zusammenbrechende Soldaten. Da es nicht sein konnte, daß die "ruhmreiche" Schlacht, außer den "edlen" Verwundungen, die Seele der Soldaten deformiert oder zerstörte, wurden diese Opfer zu Feiglingen erklärt und erschossen.


    So viel wollte ich eigentlich garnicht dazu schreiben, aber es ist schon ein bewegendes Thema.

    To the optimist, the glass is half full.
    To the pessimist the glas is half empty.
    To the engineer, the glass is twice. As big as it needs to be.

  • Ja, ich wollte nicht sagen, dass es das nicht schon immer gegeben hat. Das war sicher schon seit der Steinzeit allgegenwärtig. Aber es war eben persönliches Pech und die Personen wurden einfach ihrem Schicksal überlassen. Oder ihren Familien.