...dann sehn wir uns Bitterfeld.
Manch einer wird jetzt gar nicht wissen, wo Bitterfeld liegt.
Früher lag es auf der Schmalen, dann ist es umgekippt, jetzt liegt es auf der Breiten. Nein, quatsch - das war jetzt einfach mal die Standardantwort meiner Mutter, wenn sie gefragt wurde, wo ein bestimmter Ort liegt.
Bitterfeld liegt mitten in Sachsen/Anhalt. Zu DDR-Zeiten war die Gegend berühmt-berüchtigt wegen der vielen Chemiebetriebe, die hier eifrig und höchst effizient die Umwelt verpesteten. Dann gab es in der Umgebung auch noch einen Braunkohletagebau neben dem anderen.
Nach der Wende und dem Zusammenbruch der Industrie im Osten dauerte es einige Jahre, bis aus dieser Region etwas ganz anderes wurde. Der Braunkohletagebau wurde stillgelegt, die Chemiebetriebe weitestgehend geschlossen. In einem enormen Kraftakt wurden die ehemaligen Tagebaue renaturisiert, und so entstand u.a. dicht bei Bitterfeld der Goitzschesee. Mit seinen knapp 14 km² ist er größer als die beiden bekanntesten Berliner Seen Müggelsee und Wannsee zusammen. Und ringsum gibt es noch mehrere weitere Seen, die durch ehemalige Tagebaulöcher gebildet wurden.
Interessant ist noch, dass für die Flutung dieses Beckens ursprünglich 7 Jahre vorgesehen waren. Durch das sog. Jahrhunderthochwasser 2002 füllte sich das "Loch" innerhalb von knapp zwei Tagen und verkürzte die veranschlagte Zeit um bummelige 4 Jahre.
Heute ist der Goitzschesee ein wunderschönes Naherholungsgebiet. Am Bitterfelder Ufer gibt es Promenaden, Marinas, eine Segelschule, Bootsverleih und kleine Jachthäfen.
Und es gibt die MS Reudnitz. MS steht hier für Motorsegler. Sie ist weit über 100 Jahre alt, in Holland als Plattbodenschiff erbaut, im Jahr 1972 vollständig ausgebrannt, dann im Stil einer holländischen Staatsyacht wieder aufgebaut und schippert nun seit 2005 auf dem Goitzschesee umher.
Und jetzt mal Hand aufs Herz: In Bitterfeld hätte wohl jede/r von uns einen Zweimaster zum damit herumschippern am allerwenigsten vermutet, oder?
Jessica Read und ich waren am vorigen Wochenende in der Region, besuchten u.a. auch die "Stadt aus Eisen" - Ferropolis - die ja ebenfalls ein Produkt ehemaliger Tagebauaktivitäten ist, wandelten auf historischen Spuren aus dem Dreißigjährigen Krieg und den Napoleonischen Kriegen und gingen dann in der Geschichte noch ein Stück zurück in die Zeit der Reformation.
Dazu gleich mehr, aber natürlich gebührt dem maritimen Teil dieses schönen Trips besonders viel Raum.
Das Schiffchen macht schon echt was her - und sein Kapitän erzeugt allein durch seine imposante Erscheinung Respekt.
Diese Bank war dann unser Platz; sie steht ganz vorn backbord (ein Vordeck hat dieser Schiffstyp ja nicht). 10 Minuten nach dem Ablegen kam eine fette Regenfront und fegte das Achterdeck leer. Wir verholten uns kurz unter das Sonnensegel der Kuhl, aber schon bald konnten wir wieder unseren Platz ganz vorn einnehmen. Auf einer 1 1/2stündigen Rundfahrt bekommt man vom Käptn auf recht kurzweilige und augenzwinkernde Art viel über die Geschichte des Sees und über all das, was da so am Ufer zu sehen ist, erzählt - und der Kerl spart auch nicht mit Seemannsgarn. Am Ende muss dann jeder für sich entscheiden, was davon jetzt wahr war und was nicht.
Es war auf jeden Fall ein toller Törn.
Ach ja, kurz nach dem Ablegen wurde dann dieses kleine Kanönchen abgefeuert; 100g Schwarzpulver waren in der Kartusche und haben dann schon einen ordentlichen Rumms erzeugt.
Der Arbeitsplatz des Käptn - er war ein echter Allrounder, hat das Schiff gesteuert, die Kinder erschreckt und noch den Reiseleiter gegeben. Sein erster Maat hat u.a. das Vorsegel gesetzt; eine ebenso gemütliche wie nette Purserin hat uns mit Getränken versorgt.
Und bevor jetzt besorgte Fragen ob des unbesetzten Ruders kommen: Geduld!