Band 2 - Kydd, Bewährungsprobe auf der Artemis

  • Einmal um die Welt in 400 Seiten


    Julian Stockwin: Kydd – Bewährungsprobe auf der Artemis


    Mit dem 2. Band seiner vielbändigen maritimen Bestsellerserie um den zunächst vor dem Mast fahrenden Seemann Kydd legt uns der britische Schriftsteller Julian Stockwin wiederum ein knallbuntes Abenteuer vor, dass erneut von Matthias Jendis übersetzt wurde. Die Erstausgabe erschien 2002.
    Zunächst soll hier der weltumspannende Inhalt kurz wieder gegeben werden.
    Als ehemaliger Leichtmatrose auf einem Linienschiff finden wir den Perückenmacher Kydd nun wieder als Vollmatrose auf der ambitionierten Fregatte Artemis.
    Im Kapitel 1 taucht nach 20 S. ein Segel der französischen Citoyenne über der Kimm auf. Ein kurzes, heftiges Fregattengefecht entscheidet die Artemisnatürlich für sich. Dieses Gefecht ist historisch motiviert und dem Kampf der Nymphe und Cleopatre nachgestaltet. In Kapitel 2 kommt der König Georg III an Bord, um Prinzessin Sophie von Mecklenburg das erfolgreiche Schiff vorzustellen. Der King samt Princess sprechen mit Kydd, so dass die junge schöne Prinzessin gleich zu Kydds Prinzessin wird (!). Ein Landgang der Matrosen besteht aus Saufen, Prahlen, Huren, Tattoos (fast) und Kleidung-Shoppen. „Schick wie 'ne Ratte mit Goldzahn“ (S.63).
    Im dritten Kapitel besuch Kydds Schwester Cecilia ihren Bruder. Sie himmelt ihn an und hat eine märchenhafte Vorstellung vom Leben an Bord eines ruhmreichen Kriegsschiffes. Beider Vater wird alt, Kydd soll seinen Dienst quittieren und der Ernährer der Familie werden.
    4. Der Abschied von der Navy gelingt problemlos. Ein berühmter Fregattenkapitän wie Black Jack Powlett findet immer neue Leute. Kydd reist zu seinen Eltern, sein Bordkumpel, der Intellektuelle Renzi besucht ihn. Weil Kinder schlecht erzogen sind, gründen Kydd und Renzi eine Schule nach Marinetradition mit einer ausgedienten Teerjacke als 2-tem Lehrer neben Kydd selbst. Cecilia findet zufällig auf einem Dorfball einen Mann, der Lehrer werden will und nun Kydd in dieser Eigenschaft ersetzt, so dass er zurück zur Artemis und zur See kann.
    5. Zunächst segeln sie Richtung Indien. An Afrika vorbeigesegelt. Dort riecht es nach faulig verrotteten Pflanzen, Afrikas berauschender Geruch. Ein Blitz nebst Gewitter verschmort 3 Matrosen in der Takelung. Ein Possentheater (mäßig witzig!) als Äquatortaufe mit König Neptun.
    Im sechsten Kapitel kommen die Helden in Indien an. Ein Sondergesandter soll nach Peking, zum Kaiser von China begleitet werden, so dass im 7. Kapitel 18 Personen zusätzlich nach Kanton/China von der Fregatte Artemis aufgenommen werden müssen, obwohl im Geleit ein stattlicher Kauffahrer der Ostindischen Kompanie fährt. Dabei sind einige Frauen in galanten Kleidern.
    Im portugiesischen Macao verliebt sich Kydd in Sarah Bullivant, die ihn nach einem Schäferstündchen heiraten will. Das will Kydd aber nicht, sondern weiterhin den Auftrag, ein britisches Handelsabkommen mit China schließen, ausführen. Dazu werden er und Renzi im nächsten Kapitel zu Steuermannsmaaten befördert (Kap.9). In der Bucht von Manila kommt Edward Hobbes an Bord. Der Wissenschaftler / Astronom weist sich aus im Dienste des Königs von England beauftragt zu sein, so dass die Artemis nun 2000 Seemeilen zu einer Insel fahren muss, die auf der gegenüberliegenden Seite von Greenwich liegt, damit dort wichtige Messungen vorgenommen werden können. Auf dem Weg dorthin weisen einheimische Lotsen den Weg nicht durch ein Riff, sondern auf ein Riff zu, um die Artemis auszuplündern. Das wird vereitelt. Im 10. Kapitel nimmt die Besatzung Kontakt auf zu einheimischen Inselbewohnern und deren Kindern. Auf der Insel Nukumea wird die Artemis kielgeholt, weil sie repariert werden muss. Kriegerische Einheimische suchen zunächst friedlichen Kontakt. Waren und einheimische Schönheiten werden bereit gestellt. Kydd hat romantische Liebe. Renzi will für den Rest seines Leben bei den Einheimischen bleiben, wird aber im letzten Moment von Kydd und anderen Kumpels gerettet. Da hilft auch seine Leidenschaft für Rousseau, Locke und Diderot nichts. Der Zwiespalt zwischen der Natur und künstlich Geschaffenen (Kultur) ist offensichtlich unüberbrückbar. Renzis Wünsche, die Wilden in ihrer natürlichen Unschuld kennenzulernen, scheitern, denn zur vermuteten Unschuld gehört auch krude Gewalt. Die Wilden greifen in Kapitel 12 an, die Briten können fliehen, die astronomischen Aufzeichnung gehen verloren.
    Sie segeln sturmumtost um Kap Hoorn und landen an der brasilianischen Küste, um die Wasserfässer aufzufüllen. Dann bricht das Gelbfieber aus. Der Arzt ist verrückt und unfähig. Der Kapitän stirbt und die Offiziere streiten sich. Im Nordatlantik kommt ein Sturm auf, die Artemis erleidet Schiffbruch an einer unbekannten Insel.
    Der Autor schenkt uns ein Nachwort.


    Diese Story quillt über von viel zu vielen Vorkommnissen. Das Material hätte für 10 Bände reichen können. Hier wird es hintereinander her und mehr aneinandergereiht aufgeführt, denn erzählerisch verdichtet oder in Abhängigkeit motiviert und ästhetisch gestaltet. Das ist sehr schade! Hier hat der Autor zu viel gewollt und sich an der Fülle des Stoffes oberflächig abgearbeitet. An wirklich kaum einer Stelle der Story entwickelt sich eine Tiefendimension in der Gestaltung von Gedanken, Erlebnissen, Humor oder der Personen an sich. Alles ist oberflächig gewollt und wenig gekonnt. Kydd als Matrose vor dem Mast wird zwar befördert, aber entwickelt sich überhaupt nicht als Person. Er produziert flache, oberflächige Gedanken und Sätze. Sein intellektueller Freund Renzi liest zwar schlaue philosophische Bücher, aber zu eine Darstellung oder Diskussionen einzelner These verführt er uns nicht. Auch das sind verpasste Chancen. Zudem ist die Vielfältigkeit der Erlebnisse in dieser einen Fahrt kaum nachvollziehbar. Auch wird nicht deutlich, warum 18 Personen auf der engen Fregatte fahren, währenddessen ein bequemes Handelsschiff folgt! Vieles haben genrekundige Leser schon an anderer Stelle gelesen und meistens in besserer Qualität.
    Ist es dem Autoren Stockwin nicht bekannt, dass es sich in eine Reihe stellen und den Vergleich aushalten muss mit den vielen Autoren marinehistorischer Literatur, die vor ihm Romane veröffentlicht haben? Sind dem Autoren Stockwin diese Romane bekannt? Man mag meinen, eher nicht!


    Auch sprachlich ist dieser 2. Band immer wieder am Scheitern. Einige Zitate mögen die platten Formulierungen plakatieren: „Die Sonne schien wie zuvor, die Brise zauste spielerisch Kydds Haar, aber aus dem Nichts war der Tod gekommen und hatte geholt, was ihm zustand“ (S.330).
    Wahrscheinlich war es ein naher Vulkan, der den verheißungsvollen Sonnenuntergang so blutig rot färbte“ (S.288).
    In diesem Augenblick mochte er den letzten Blick seines Lebens auf sein Mutterland werfen“ (S.130).
    Es war Seemannschaft auf einer anderen, höheren Ebene, die den Männern mehr abverlangte, aber sie passten sich rasch an“ (S.20).
    Das sind Sätze voll von schwülstigem, triefendem Pathos oder unverständlichen Zusammenhängen oder Wahrnehmungen. Hierbei ist es auch nebensächlich, ob diese Primitivität vom Autor oder Übersetzer herrührt, das Ergebnis ist bleibt dürftig.


    Und noch ein weiterer Aspekt muss angeführt werden, der leider auch schwerwiegend zur fehlenden Qualität beiträgt: Es fehlt dem Roman, der Geschichte, den Personen und auch dem allwissenden Erzähler an Humor. Das ist nicht entschuldbar und führt dazu, dass ein zäher Text zu einer ermüdenden Lektüre verkommt.


    In seinem Nachwort bedankt sich Stockwin für die Unterstützung und den Rat seiner Frau, der er vermutlich als 'Herrin seines Herzens' dieses Buch gewidmet hat, mit der er auf vielen Spaziergängen die Handlung und Figuren besprochen hat. Vielleicht haben sie sich manchmal verlaufen? Oder hat das Lektorat versagt? Oder beides? So scheint es.
    Das Lesen des 3. Bandes verschiebt sich auf ungewisse Zeit!

    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)

  • Bravo, besser hätte ich dieses Desaster auch nicht schildern können. Mein Gefühl bei diesem Band war, dass Stockwin mit seiner guten Idee, den Helden vor dem Mast fahren zu lassen, selbst nicht mehr glücklich war. Er fühlt sich und seinen Helden zu Höherem berufen und um dorthin zu kommen, braucht es Handlung, Handlung und nochmals Handlung. Die steckte er nun in diesen einen Band.
    Man denke mal an das Kontrastprogramm beim viel gescholtenen Frank Adam. Der lässt seinen Superhelden ganze drei Bände schmoren, bis er endlich Offizier sein darf.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)