1. Weltkrieg 1914 - 1918

  • Ich weiß, ich bin etwas zu spät dran. der 100. Jahrestag des Kriegsendes wurde bereits im November begangen. Und ich weiß auch, dieser Krieg liegt weit außerhalb unserer Zeit.
    Aber er lässt mich nicht los. Das hat zwei Gründe. Der erste Grund war ein Bild. Genauer die Portraitaufnahme eines Soldaten, wie es sie aus der Kaiserzeit zu tausenden gibt. Man findet die Fotos in Postkartengröße auf jedem Flohmarkt, in jedem Antiquariat. Aber das Bild, von dem ich spreche ist größer, viel größer. Einige an Bo(a)rd erinnern sich vielleicht noch an die unvermeidlichen Bilder des großen Vorsitzenden, das in jeder Amtsstube hing. Das Bild ist ungefähr so groß und es wurde nachkoloriert. Der junge, sehr junge Mann trägt einen schmucken grünen Waffenrock mit roten Aufschlägen. Seine Schirmmütze zieren die deutsche und die sächsische Kokarde.
    Ich entdeckte das Bild in einem Pirnaer Antiquariat und war davon fasziniert. Meine Mutter bemerkte das und schenkte mir das Bild. Es war Anfang der 1990er Jahre und an das Internet war noch lange nicht zu denken. Es kostete mich mehrere Jahre, bis ich endlich herausfand, zu welcher Einheit der junge Mann gehörte. Es war das 5. königlich-sächsische Feldartillerie-Regiment Nr. 64, das von seiner Gründung 1901 bis zu seiner Auflösung 1919 in Pirna stationiert war. Bei Kriegsausbruch zog das Regiment nach Westen. Dort kämpfte es bis zum letzten Tag des Krieges. An der Marne, an der Somme, in der Champagne, in den Ardennen und in Flandern. Von den verlustreichsten Schlachten des Krieges blieb dem Regiment nur Verdun erspart. Bei einer Kriegsstärke von ungefähr 1.000 Mann fielen 327 Männer, 11 gelten als vermisst. 863 Männer wurden verwundet. Was für eine entsetzliche Bilanz.


    Der zweite Grund ist ebenfalls eine Fotografie. es zeigt meinen Urgroßvater als jungen Mann, feldmarschmäßig gekleidet in der Uniform des 2. königlich-sächsischen Grenadierregiments Kaiser Wilhelm, König von Preußen Nr. 101. Die Aufnahme entstand 1915. Ich weiß nicht, weshalb man ihn so spät einzog. Vielleicht lag es an seinem Beruf als Telegrafenarbeiter bei der Post. Aber natürlich zog man ihn gemäß alter deutscher Tradition nicht entsprechend seiner Ausbildung zur Telegraphenabteilung ein, sondern zur Infanterie. Ab 1915 kämpfte er also an der Westfront, war vermutlich einer der ersten Neulinge, die man nach den Verlusten während des Vormarschs und der Marne-Schlacht zur Auffüllung der Lücken an die Front entsandte. Soweit ich weiß, war auch er bis 1918 an der Westfront. Irgendwann geriet er in französische Kriegsgefangenschaft, aber darüber gibt es keine Unterlagen. Ich konnte nicht mit ihm über seine Erlebnisse sprechen, dafür war ich damals noch zu jung. Aber von meiner Großmutter weiß ich, dass er niemals auch nur ein Wort über den Krieg verloren hat, obwohl er seine Kriegsauszeichnungen stolz an seiner Postuniform trug. Was er erlebt und gesehen hat, muss ihm die Sprache darüber verschlagen haben.



    Man muss sich das einmal vorstellen. Im September 1914 erstarrte die Front im Westen (auch an anderen Fronten gab es den Stellungskrieg). Millionen von Soldaten lagen sich jahrelang gegenüber. Oftmals nicht einmal 100 m voneinander getrennt und versuchten, sich gegenseitig zu töten. Das war die einfache Routine. Von Zeit zu Zeit beschlossen Generale, die weit hinter der Front saßen, eine Entscheidungsschlacht zu erzwingen. Dann wurden die feindlichen Stellungen stundenlang mit Trommelfeuer eingedeckt oder man verschoss Gasgranaten, die für die Angreifer nicht weniger gefährlich waren wie für die Angegriffenen. Jeder Quadratzentimeter wurde während eines solchen Trommelfeuers mehrfach umgegraben. Dann erfolgte der Befehl zum Sturmangriff... Es gab trotz der fürchterlichen Feuerwalze immer Überlebende, die sich den Angreifern entgengen stellten und so verreckten die Angreifer so gut wie immer im Abwehrfeuer der Verteidiger und am Ende des Tages verlief die Front ebenso wie am Morgen. War ein Angriff in ganz seltenen Fällen doch einmal erfolgreich, konnte sich die siegreiche Seite eines Geländegewinns weniger hundert Meter rühmen, die beim nächsten Gegenangriff meist wieder verloren gingen. Kriege sind immer schrecklich, aber kann es eine Steigerung zu diesem sinnlosen Abschlachten geben?


    Der Krieg endete so, wie der Krieg zuvor geendet hatte. Die Sieger taten alles dafür, die Verlierer zu demütigen. Somit war die Saat für den nächsten Krieg bereits gelegt. Politiker ziehen nicht in den Krieg. Sie tragen keine Konsequenzen. Das überlassen sie lieber dem einfachen Volk.


    Wie bereits erwähnt, war mein Urgroßvater in französischer Kriegsgefangenschaft, auf einem Bauernhof irgendwo bei Marseille. Nach seiner Heimkehr gingen noch lange Zeit Briefe zwischen Frankreich und Deutschland hin und her, wusste meine Großmutter zu berichten. Bestimmt wäre es besser gewesen, man hätte den Friedensschluss den Männern überlassen, die 4 1/4 Jahre lang im Dreck an der Front gelegen hatten.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

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