Nicholas Monsarrat - Der ewige Seemann II - Die Prüfungen des Matthew Lawe

  • Auf See zu sein, war das einzige Glück in dieser Welt“


    The Master Mariner (Der ewige Seemann II)


    Wir wollen dankbar sein, dass es eine Fortsetzung von Die Irrfahrten des Matthew Lawe gibt und uns nicht grämen, dass die Trilogie des britischen Autors Nicholas Monsarrat (1910-1979) unvollendet geblieben ist und somit diese Fortsetzung Die Prüfungen des Matthew Lawe der letzte Band ist, der uns vorliegt. Beide Bände wurden 1978 veröffentlicht und waren monatelang auf der britischen Bestsellerliste auf Platz


    Die Prüfungen des Matthew Lawe


    Die Ausgangslage bleibt unverändert: Weil sich Matthew Lawe als Bootsteuerer von Francis Drake der Feigheit vor dem Feind schuldig gemacht hat, wird er von einer schottischen Hexe verflucht als Untoter fortan die Weltmeere zu befahren und an den wesentlichen Unternehmungen des Age of Sail teilzuhaben. Im ersten Band wurden wir mit ihm Zeugen von der Niederlage der Spanischen Armada, waren auf Entdeckungsreise mit Henry Hudson, teilten die Piraterie mit Henry Morgan und Simon Montbarre und Schriftführer in der Admiralität von Samuel Pepys. Nun setzt der Roman 1720 ein.


    1720 Neufundlandfischer:
    Matthew Lawe ist durch den Börsenschwindel hoch verschuldet, sitzt deshalb im Gefängnis und überwindet dieses nur durch seine Zusage, wenigstens ein Jahr als soldloser Fischer auf einem portugiesischen Schoner vor Neufundland Kabeljau zu fischen. Im Schneetreiben und eisigen Temperaturen werden Fässer mit Fischen gefüllt. Durch die 'Narrows' geht es vor St. John's / Neufundland vor Anker. In einem Geleitzug von mehr als 400 Schiffen geht es nach fast einem Jahr mit den Fischen, aber auch anderen Handelsgüter (Öl, Felle, indianische Stickereien, Fichtennadeln) zurück über den Atlantik. Zurück an der Küste von Neufundland bleiben Matthew und 3 weitere Seeleute der Besatzung. Sie versprechen ihrem Kapitän, dass sie im nächsten Jahr wieder abgeholt werden. Der Kapitän will das Zahlen der Schulden vermeiden.
    Im Winterlager ist das Proviant schnell aufgebraucht, mit einem freundlichen Indianer wird im Schneetreiben getauscht. Ein französischer Trapper stellt dem Schweden Jörgensen eine Falle. Der Schwede wird ausgeraubt und massakriert, so dass er nach wenigen Tagen stirbt.
    Nur knapp entgeht Matthew einer harten Bestrafung oder gar dem Tod durch ein ungerechtfertigtes Urteil eines Fischereiadmiral, der auf Neufundland ein autokratisches und egozentrisches Regime führt. Als ein 64er als Vorhut einer riesigen englischen Flotte aufkreuzt, heuert Matthew freiwillig an und segelt seinem nächsten Abenteuer entgegen.


    1757 Steuermann:
    Der 64er ist die Pembroke. Kapitän John Simcoe hat einen Master angeheuert, der heißt James Cooke. Zu diesem schließt Matthew Freundschaft. Sie vermessen Fahrrinnen, Küstenabschnitte, Inseln, - die Welt; zumindest am Anfang die Traverse am Lorenzstrom vor Quebec. Mit dem legendären General Wolfe wird Quebec listenreich eingenommen.
    In den folgenden zwei Jahrzehnten hatte er diese Welt vermessen, von den kalten russischen Meeren bis zum freundlichen Südpazifik, von der nordamerikanischen Küste (wo er sich volle acht Jahre aufhielt) bis zum Polarkreis der Antarktis, von Kap Horn bis zu den Sandwich-Inseln, von der Beringstraße bis zur Botany-Bay und vom Plymouth Sund bis zum Großen Barrierriff“ (S.128). Cook ist ein fürsorglicher Anführer. Er erprobt viele Rezepte aus gegen Skorbut: „Anti-Skorbutisch war das Stichwort, mit dem man sich für so etwas wie Sauerkraut entschuldigte, im Grunde nur in Essigbrühe eingelegter Kohl, der scharf auf der Zunge schmeckte. Das mochte etwas für Deutsche sein, aber für robuste britische Seeleute war das wie etwas Heidnisches für einen Christenmenschen“ (S.132). Dann gibt es noch Karottenmarmelade und rohe Zwiebeln: „Jedermann hat zwanzig Pfund Zwiebeln in der ersten Woche zu essen, danach pro Woche zehn Pfund“ (S.133). Auf der letzten Reise lernen wir mit Matthew auch Master Blight kennen, den späteren 'Brotfrucht-Blight' und Kapitän der späteren Bounty kennen, der schon in frühen Jahren ein brutal-strenges Gebaren hat. Auf Hawaii kommt es nach mehreren Besuchen zur finalen Katastrophe, der Cook zum Opfer fällt. Die zerstückelten Reste seiner Leiche (Stück für Stück) werden den Ureinwohnern abgezwungen und dann der See übereignet. Ein Nelson war auch dabei – nicht DER – aber ein Vorläufer davon!


    1790 Leutnant der Flotte:
    Keine Admiralslichter auf der Victory“, so endet das 122 Seiten lange Nelson-Kapitel. Matthew Lawe liest von der Tragödie der Bounty-Exkursion ausführliche Berichte in der Zeitung. Unter besonderen Umstände lernt Lawe Horatio Nelson als jungen Kapitän in Quebec kennen. Der später weltberühmte Admiral ist hier noch ein Greenhorn und will seinen Dienst quittieren und die Uniform an den Nagel hängen, weil er sich hoffnungslos in ein sechzehnjähriges Mädchen verknallt hatte. Sie treffen sich als bettelarme, joblose Bekannte in London, beide auf Halbsold. Nelson gelingt es über Monate nicht, ein neues Kommando zu erhalten. Deshalb zieht er mit Lawe und seiner Frau Fanny mitsamt ihres missratenen Sohnes aus erster Ehe in Pfarrhaus von Nelsons Eltern in Burnham Thorpe. Nelson: „Für mich ist das hier in Burnham Thorpe kein Leben. Meinem Hund geht es besser... Nach dem Abendessen, bei dem er schweigend vor sich hinbrütete, ging er, am ganzen Körper zitternd, zu Bett, die Augen schmerzten ihm und Kummer fraß an seinem Herzen. Die an Land wie in einen Käfig gesperrte See-Kreatur hatte aufgebrüllt und nach dem Element verlangt, das allein ihr das Leben bedeutete“ (S.198). Nelson ist leicht seekrank und ab und an überfällt den schwächlichen Mann das tropische Fieber. Abkommandiert von Lord Hood lernt er als Kapitän der Agamemnon den britischen Botschafter Hamilton samt schöner Lady Emma in der Bucht von Neapel kennen. Nelson und Lawe spannen ein paar Tage aus und haben sich „wie ein Eber mit dem Arsch in Butter gewälzt“. Im Kapitel V werden uns dann ausführlich die Meutereien in Spithead und auf der Nore differenziert, drastisch und nachvollziehbar geschildert. Wir erleben, wie sich die berühmte band of brothers gründet. „Die Namen dieser Freunde, die alle berühmt wurden, waren Hardy, Fremantle, Alexander Ball, Blackwood, Foley, Hallowell, Berry, Troubridge, Collingwood, Saumarez, Hood. Sie alle führte dieser kleine, vom Schicksal geschlagene Admiral zu Ehre und Ruhm. Es waren Männer, denen er vertrauen konnte, die weder Neid noch Eifersucht kannten, die Nelson nicht brauchten, um durch ihn zu verwegenen Taten angespornt zu werden, sondern nur als Bindeglied, das aus ihnen eine eiserne Gemeinschaft schuf“ (S.238).
    Die Schlachten werden erfolgreich geschlagen und spannend geschildert: St. Vincent, Abukir, Kopenhagen, Trafalgar. Mattew ist immer mal wieder ein bisschen feige, einmal fällt er vor Erschrecken sogar in Ohnmacht.
    Nelsons andauernde Affäre mit Lady Emma nimmt immer nachhaltigere Formen an. Auch sie fällt mehrmals in Ohnmacht, einmal nach Nelsons Heimkehr, einmal von Nelson geschwängert mit Zwillingsmädchen. Die berühmte Affäre ist ein öffentlicher Skandal, Ehefrau Fanny werden öffentlich Hörner aufgesetzt. Das britische Volk feiert seinen Helden Nelson samt Geliebter Emma, die britische High-Society verachtet die öffentlich zur Schau getragene Doppelmoral. Nelsons Leben endet dann ruhmreich in der Schlacht von Trafalgar, als er von einem Scharfschützen tödlich getroffen wird. Mattews Fluch dauert fort.


    Wiederum bedient sich Monsarrat der selben Stilmittel wie schon in Der ewige Seemann I. Eine historische Genauigkeit, ein ruhiges, eher verschleppendes Erzähltempo und geschickt montierte Geschichtsexkursionen (Bounty, Meutereien etc.). Mal wird die erzählte Zeit gerafft, mal wird sie länger als die Erzählzeit. Es finden sich sogar leichte Aromen von Ironie.
    Als Wolfe stirbt, urteilt der kleine Feigling Matthew über seine Zeitgenossen 'Weichlinge', weint aber selber (S.126).
    Verzeihen wir auch dem Autor sein Pathos in der Darstellung des reifen Nelson, immerhin schreibt hier ein britischer Autor über einen seiner größten Volkshelden!
    In den Schlachten überschlagen sich plötzlich die Ereignisse.
    Wir haben viele charismatische Helden, nicht einen, und schon gar nicht den vermeintlichen Helden Matthew Lawe. Seine Aufgabe ist es, den zeitlichen Rahmen von immerhin 217 Jahren für uns Leser verfügbar zu machen. Und dies ist ihm großartig gelungen!
    Wir erleben historische Vergangenheit, aus der sich mehrere Gegenwarten entwickeln, die von der Fiktion übersegelt werden.
    Was für ein erzählerischer Kniff, ein Protagonist, der nicht sterben kann, der ansonsten ein immer mal wieder feiger Normalo ist und bleibt, der aber für das Erzählkonstrukt das Erzählen der spannenden Inhalte erst ermöglicht!
    Die so spannenden Inhalte sind genial kombiniert: Fischerei, Endecker (Explorer) und Marinehistorie wechseln sich ab, ein Highlight folgt dem nächsten und die Zeitensprünge raffen die eigentlichen Zeitabläufe wie eine Tour de Historique. Als Leser frierst du mit im neufundländischen Winter und nagst an Knochen herum, du fischst Kabeljau und spürst die aufgerissenen Hände, in die eiskaltes Salzwasser fließt, mit Cook tanzt du erst Hula-Hoop, um dann dir vorzustellen, wie die Indios Cooks Körper auseinanderreißen, mit Nelson bist zu Pennäler-verliebt, treibst Gartenarbeit und machst dann eine beispiellose Marinekarriere.
    Mehr geht doch nun wirklich nicht!? Oder? Eigentlich doch! Wo ist der dritte Band der Trilogie? Falls es ihn gibt, ist er safe nicht ins Deutsche übersetzt. Ok. Dann eben das britische book. Fehlanzeige! Suchanzeige: Wer hat den dritten Band auf englisch? Wie heißt er und wo bekomme ich ihn? Er scheint eine Legende zu sein. Gut, dann suchen wir Matthew Lawe! Wo ist dieser unsterbliche Feigling? Bringe er uns doch bitte den 3. Band dieses absolut außergewöhnlichen Erzählstoffes. Denn ich bin mir sicher, er hat Nicholas Monsarrat überlebt und segelt vielleicht auf der Krusenstern heute in der Ostsee nahe Kaliningrad. Wir müssen ihn nur finden! Aber vielleicht schreibt und liest er ja gerade jetzt diese Rezension in diesem Forum und denkt: Auf einem Forentreffen werde ich die nächsten Kapitel des EWIGEN SEEMANN Aug in Aug erzählen...


    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)

    2 Mal editiert, zuletzt von 1.Lord ()

  • Wieder eine tolle Rezension, die so richtig Lust auf das Buch macht.


    Was Band 3 betrifft, so habe ich meine Zweifel, ob es den überhaupt geben kann. Laut der Encyclopedia of British Writers soll ja der 2. Band unvollendet sein, was sehr dafür spricht, dass es kaum mehr als Quellensammlungen für einen eventuellen 3. Band geben kann, sofern der überhaupt geplant war, denn was passt mehr als Höhepunkt auf den Irrfahrten als Nelson persönlich.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)