Band 17 - Ramage und die Sarazenen

  • 'Im Mittelmeer gibt es keine Wunder.'


    Oder doch? Es wundert wie ein Wunder an, was für einen Roman uns D. Pope auf 383 Seiten als vorletzten Abenteuer-Band seiner Ramage-Reihe vorlegt. Hat man bei leider vielen anderen marinehistorischen, langen Reihen von Autoren wie Kent, Adam, auch O'Brian vermeintlich doch den Eindruck, dass diese in ihren letzten, die Serien (auch unvollständig) abschließenden Reihen die Ideen, der Atem oder das Pulver ausgeht. Bei einigen wurde mit zunehmenden Alter auch stilistisch und kompositorisch die Meeresluft dünner und dünner.
    Bei Popes 17. Band 'Ramage und die Sarazenen', wieder gekonnt übersetzt von Uwe D. Minge, ist dies anders.
    Wie anders? Erlebten wir in Band 16 eine Story, die sich zunächst allmählich, dann immer rasanter auf ein furioses Ende hin entfaltete, der Schlacht vor Trafalgar, lässt Pope hier von Anfang an Mörsergranate nach Mörsergranate explodieren. Ohne Vorgeplänkel wird der Leser nach wenigen Seiten in actionreiche Gewimmel gesogen. Das kannten wir von D. Pope noch nicht, wusste er ja bisher durch einen behutsamen, eher langsamen Storyaufbau zu überzeugen. Meistens beinhalten seine Bände vornehmlich 1-2 inhaltliche Höhepunkte. Hier nun ein unerwartetes Feuerwerk!


    Um was geht es? Nach Trafalgar segelt die Calypso (mal wieder) unter Admiralitätsorder im Mittelmeer. 2 französische 74er werden zur Fast-Havarie verleitet. Eine französische Fregatte wird im Hafen von Capraia bis zur Kapitulation beschossen, eine zweite Fregatte, die zur Hilfe eilen will, wird auf offener See gestellt und vernichtet. Bei Neapel stattet Ramage Bericht ab bei Admiral Rudd, einem einfältigen, primitiven und nörgelnden Stellvertreter der Gattung Admiral. Kein / kaum Lob für den Helden, dafür einen fiesen Auftrag: Vernichtung von Sarazenen, die an Siziliens Südküste marodieren. Ramage plant gewissenhaft, stellt den Sarazenen eine Falle und erledigt den Auftrag. Damit sind Admiral und König der beiden Sizilien so zufrieden, dass es einen weiteren fiesen Auftrag für Ramage gibt. Nun soll der Stützpunkt der Sarazenen in Nordafrika überfallen werden, um dort italienische Männer (Sklaven) und Freuen (Bordell) zu befreien. Dafür erhält Ramage erstmalig den Befehl über eine kleine Flotille: 2 Fregatten + 2 Sloops. Der Auftrag wird natürlich erfüllt. Und weil er es so gut kann – ein weiterer Auftrag wartet mit einer dicken Überraschung für Ramage und die Leser auf.


    Das Geheimnis der Erfolge von Ramage und seinem Vorbild Nelson sind im wesentlichen 3 Komponenten: Als Vorbereitung zur Erfüllung von Befehlen werden Pläne entwickelt. Die Pläne bleiben jedoch insofern 'offen', als dass immer Raum für persönliche Initiative bleibt und für unvorhersehbare Zufälle. Durch den Aufbau von persönlichen Bindungen der Offiziere zueinander und auch zum Befehlshaber, werden Befehle im gegenseitigen Vertrauen ausgeführt. Dieser Prozess wird durch gemeinsame 'Arbeitsessen' oder / und Lagebesprechungen erreicht. Hierbei entfaltet sich auch das individuelle Charisma des Anführers.
    Bei der Einschätzung der allgemeinen Logik zukünftiger Ereignisse kommt dem Überraschungsmoment eine besondere Rolle zu. Analysieren, was wahrscheinlich passieren wird und folgere daraus, was der allgemeinen Logik die überraschende Wende geben könnte. Plane diese Überraschung sorgfältig!


    In dem vorliegenden Bändchen finden wir ein einzigartiges Fregattenduell, Breitseite gegen Breitseite, das sich von S.77 – 113 erstreckt. Immerhin 36 Seiten lang. Das ist so großartig nachvollziehbar geschrieben, das ist super spannend und authentisch. Das Gefecht fordert einen hohen Blutzoll (bei Pope eher unüblich!). Man fühlt sich erinnert an das glorreiche Gefecht der Lydia gegen die Natividad, Erinnerungen in Technicolor, die sich auf der Netzhaut einbrannten. Die Jason wird versenkt, die La Tigre kapituliert. Wieder Ramage, der Fregattenkiller.
    Die Havarie der beiden 74er war hingegen ein überaus glücklicher Zufall. Es sah nachvollziehbar trostlos für die Calypso aus, hier war es nicht Tricky-Ramage, hier war es Ramage, der Glückliche – das ist dann auch gerne mal erwähnt.
    Die Häufung der Abenteuer, die Intensität der dargestellten Kämpfe, der hohe Blutzoll – all das sind Momente, die für die bisherigen Ramage-Abenteuer nicht typisch waren. Hier machen diese Momente den 18. Band zu einem Herausragendem.
    Und es gibt noch ein Momentum, das wir bisher nicht kannten von Ramage, das der reife Pope dem reifenden Ramage zugesteht: Erstmalig erleben wir, dass der Held Zweifel am Gelingen der Unternehmungen entwickelt (besonders morgens vor dem Aufstehen). Bisher erlebten wir nur ein etwas überlegenes, verschmitztes Lächeln und Grinsen beim Gelingen ausgewiefter Pläne.


    Fast schon selbstverständlich nimmt der Leser es hin, dass der Autor weiß, wovon er schreibt. Pope war ja tatsächlich auch Hochseesegler! Woher er aber weiß, dass bei schwerem Wetter die Galionsfiguren, die regelmäßig gepönt wurden, durch Schutzhüllen geschützt wurden, das ist wirklich beeindruckend oder fantasiebegabt. Dass Bordwände, salzverkrustet, die früher einmal rot und blau angemalt waren, nun von der 'Nagelkrankheit' heimgesucht wurden, ist fein formuliert. Gemeint sind natürlich die Roststreifen von den Nägeln an einer Bordwand.


    Und wenn Flaggen im Wind lustig auswehen, so als ob sie sich freuten, an Bord zu sein (S.92), dann können wir festhalten:


    Im Mittelmeer gibt es keine Wunder!
    Aber es gibt einen sehr gelungenen vorletzten Ramage-Roman, der die Leser begeistern kann, weniger mit Wundern, aber mit Überraschungen und einem furiosem Handlungsverlauf und einem reiferen Ramage mit Leidenschaft und Finesse! Bravo!



    1. Lord, türkische Ägäis, Mittelmeer



    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)

  • Woher er aber weiß, dass bei schwerem Wetter die Galionsfiguren, die regelmäßig gepönt wurden, durch Schutzhüllen geschützt wurden, das ist wirklich beeindruckend oder fantasiebegabt.

    In seinem Standardwerk Herrscherin der Meere schreibt Frank Adam sinngemäß und sehr zutreffend: "Was Dudley Pope über die Royal Navy zu Nelsons Zeiten nicht weiß, ist es nicht wert gewusst zu werden." Und damit ist im Grunde alles gesagt. Die Romane um Lord Ramage kommen ja immer sehr locker, fast märchenhaft rüber und natürlich werden Ramages Erfolge extrem überhöht dargestellt, doch man sollte sich immer auch darüber klar sein, dass hier ein profunder Kenner der Materie schreibt und da sind es gerade diese Kleinigkeiten, an denen man das festmachen kann. Man sollte nicht vergessen, dass Pope halt nicht nur Romanautor, sondern auch Verfasser sehr guter Fachbücher war. Leider haben es diese niemals zu einer deutschen Übersetzung geschafft.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Hat man bei leider vielen anderen marinehistorischen, langen Reihen von Autoren wie Kent, Adam, auch O'Brian vermeintlich doch den Eindruck, dass diese in ihren letzten, die Serien (auch unvollständig) abschließenden Reihen die Ideen, der Atem oder das Pulver ausgeht. Bei einigen wurde mit zunehmenden Alter auch stilistisch und kompositorisch die Meeresluft dünner und dünner.

    Soweit es Kent und Adam betrifft, so stimme ich Dir zu, hier geht die Leistungskurve mit Fortschreiten der Reihen wirklich rapide nach unten. Dabei ließe sich aber darüber streiten, ob das wirklich nur altersbedingt ist oder mit dem Aufstieg der Helden in die Flaggränge zusammenhängt. Denn hier tun sich fast alle schwer, weiterhin spannende und trotzdem noch plausible Handlungen zu entwickeln. Kent gelingt das in einem einzigen Band, Adam scheitert vollständig, während Forester mit den späten Hornblower-Bänden Maßstäbe für die Ewigkeit gesetzt hat. Gut, bei Kent kommt dann noch diese deprimierende Schwermut dazu, die wohl altersbedingt sein mag.
    O'Brian würde ich hier außen vor lassen, denn gerade die späten Bände (speziell die endlose Reise) mag ich ganz besonders. Außerdem ist er wie Pope in der komfortablen Lage, dass sein Held noch kein Admiral ist.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Es ist hier doch wirklich immer wieder sehr bereichernd, von Kennern der Materie Leckereien angeboten zu bekommen, die gut verträglich das eingene Menü verfeinern. Danke @Speedy für die Gaben. Danke @Aga für die Wertschätzungen.
    Lasst uns weiter lesen, schmökern und beitragen - Hornblower musste für einen Schatz in die Marmaris-See? - wir können uns wie freie Delphine im weltweitenozeanweb tummeln und auch Luftsprünge vor Freude machen.
    Und hulahopp! fr44

    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)