Band 16 - Ramage bei Trafalgar

  • 'Ich sehe eine graue Gans auf eine Meile.'


    Diese wunderbare maritime Bestimmung der sich verflüchtigenden Dunkelheit in der Morgendämmerung oder gar einer Sichtweitenbestimmung mag uns abgewandelt für D. Popes 16. Roman um und über seinen Romanserienhelden Lord Nicolas Ramage leicht modifiziert als gute Einleitung dienen: Wir lesen einen sehr guten maritimen Roman auf 306 Seiten.
    Nach einem ermüdenden Schwächeanfall in Band Nr. 14 und einem Rekonvaleszent-Band 15 haben wir nun wieder die Ehre, einen fantastischen Pope zu lesen, dessen uns lieb gewordener Ramage wieder nachvollziehbar bis ins Detail brilliert.
    Sicherlich liegt es auch an einer meisterlichen Übersetzungsleistung von Uwe D. Minge, der in einigen kleinen Fußnoten wesentliche Erklärungen zur erweiterten Verständlichkeit beiträgt. (Später beglückte Minge mit eigenen Romanserien die Liebhaber maritimer Lektüren. In erster Linie aber hat er sich einen Namen als Übersetzer von mehr als 60 maritimen Büchern gemacht. Leider verstarb Minge im Jahr 2013.)


    Pope kehrt zurück zu den erfolgreichen und sicheren Wurzeln eines sehr spannenden und plausiblen und in allen Momenten klassischen Genre-Romans. (Wie schwer es ist, die Balance zu finden zwischen marinehistorischer Logik, Zufallswahrscheinlichkeit und absurder Fantastik beweisen leider auch einige misslungene Versuche anderer Genre-Autoren!).
    Was passiert? Nach der Befreiung wichtiger Persönlichkeiten aus Marine, Militär und Verwaltung und auch seiner Lady Sarah (Bd. 15) verbringt Ramage wenige entspannte Tage in seinen noch zahlreicher gewordenen Landgütern in England. Ein neuer Befehl kommt. Ramage wird zu der sich neu formierenden Flotte von Vizeadmiral Nelson abgeordnet. Nelson hat Ramage angefordert. Die Zeit drängt. Ramage mit Calypso und Crew ab durch den Medway und die Biscaya, und schon ist man vor Cadiz und erhält Späheraufgaben vor der Hafeneinfahrt, aus der die vereinigte Flotte von Spanien und Frankreich vielleicht das Auslaufen probieren wird. WARUM? Die span-franz. Flotte überwindet vielleicht die sie blockierende Flotte mit einem Sieg und läuft in den Ärmelkanal ein (Gefahr einer Invasion) ODER sie entschwindet der britischen Flotte in Richtung Mittelmeer und vernichtet einen britischen Geleitzug, der Nachschub nach Italien bringen soll. Ramages Sonderbefehl ist eine Spionage-Mission, was wohl tatsächlich passieren wird, indem er undercover einen hochrangigen Spion in Cadiz befragen soll. Dieses erledigt er im Handumdrehen (bewährtes Ramage-Muster). Dann erleben wir, dass die Calypso als Wachhund vor Cadiz alle Details des Ankeraufgehens und schwierigen Auslaufens der gegnerischen Flotte registriert und mit einem neuen Flaggen-Code übermittelt. Es kommt zu einem typischen Ramage-Intermezzo, weil ein franz. 74er die Calypso stellen will. Anschließend wird die berühmte Schlacht vor Trafalgar in vielen Facetten geschildert, und auch die Calypso macht unerlaubterweise mit. Das Ergebnis der Schlacht mit Verlierern und Gewinnern ist jedem historisch interessierten Menschen bekannt.


    Wir erleben in diesem Roman einen gelungenen Spannungsaufbau als permanenten Lesesog. Der Titel verrät, woraufhin es hinausläuft. Und gerade deshalb ist es als Aufgabe so schwierig und in dieser Umsetzung so fein gelungen, wie Pope seine Konstruktion aus aufeinanderfolgender kleiner Ereignissen und in ihrer ansteigenden Bedeutung verknüpft. Ein ruhiger Beginn und ein furioses Finale und dazwischen eine spannende Klimax. Das macht richtig Spaß zu lesen und lässt nicht zu, das Buch aus der Hand legen und wenn doch, dann bannt es die Gedanken.
    Diese einmalig berühmte Schlacht erleben wir aus zwei Perspektiven. Einerseits durchbrechen wir mit dem Helden unerlaubterweise im Heckstrudel eines 74er die Gefechtslinie und anderseits schildert uns der Erzähler die wesentlichen Geschehnisse des Schlachtverlaufs aus der Vogelperspektive. Wir erleben, welches Schlachtschiff sich mit welchem anderen Schiff kanoniert und versegelt. Das ist ein sich bewegendes Schlachtengemälde.
    Seit dem 2. Band (Die Trommel schlug zu Streite) haben sich Ramage und Nelson nicht wieder getroffen, aber über 14 Romane ausziseliert wussten Popes Leser, dass er seinen Helden quasi als Abbild eines der größten maritimen Helden, eben Nelson, sich entwickeln ließ. Nun kommt es zum erneuten Treffen der beiden und Nelson verwirklicht einen genialen Schlachtplan, dessen Gelingen er wohl nicht erleben konnte. Beide Helden verkörpern und realisieren das Prinzip der Überraschung und Pope lässt uns das Verhältnis der beiden Helden und deren Besonderheit aus der allwissenden Perspektive mitvollziehen:“Lord Nelsons Plan, die feindliche Linie an zwei Stellen zu durchbrechen und damit die Vorhut abzuschneiden, schien funktioniert zu haben. Es war das Überraschungsmoment gewesen, denn seine Lordschaft hatte das Unerwartete getan. Jetzt wollte Kapitän Ramage dieselbe Taktik anwenden. Das Ziel war zwar im Maßstab wesentlich verkleinert, aber das Prinzip blieb dennoch dasselbe“ (S.263). Plausibler lässt sich des Autors Intention und das Verhältnis der beiden Helden nicht knapper beschreiben. Ein faszinierender Lehrer und ein eifriger, non-konformer Schüler mit Tendenz, sich ebenfalls zu verwirklichen.


    Das uns vertraute und bekannte und funktionierende 'Gewürzregal' von Pope kommt endlich wieder voll zum Einsatz; lustige Vergleiche, die den Leser zum Schmunzeln bringen und ironisch-sarkastische Dialoge, die den Lesern das Lächeln ins Gesicht zaubern. „Die Stimme eines Baß und das Gehirn einer Pikkoloflöte“ (S.19). Southwick bindet dem Leutnant Hill einen Bären (Ochsen) auf, indem er plastisch ausmalt, dass die Calypso den einzigen Auftrag von Nelson erhalten würde, für Frischfleisch, Wasser und Holz (Nachschub) zu sorgen (S.121ff). Herrlich! Wunderbar auch die Dialoge der Eheleute Ramage zu Beginn der Erzählung (S.22f). Das ist geistreiches Erzählen, das richtig Spaß macht. Lehrreich erfahren wir auch noch etwas über die Notwendigkeit der Entstehung der Versicherung Lloyds vom Kaffeehaus zu einer bis heute einflussreichen Versicherung.


    Wir sehen eine graue Gans auf eine Meile, die uns unmissverständlich zuschnattert: Lies diesen tollen Roman, du wirst es D. Pope danken!


    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)

  • Ja, Quincy wie er an Board des alten Boltitho Forums hiess, hat tolle die Romane ins Deutsche übersetzt. Einige von uns haben Ihn ja noch leibhaftig kennengelernt.
    Diese Ehre wurde mir leider nicht zu Teil.
    Danke für diese tolle Rezi.



    Aga

    Gentlemen, when the enemy is committed to a mistake, we must not interrupt him too soon.

    Adm. Horatio Nelson

  • Es ist im Grunde immer spannend, wenn ein Autor seinen Helden an realen Geschehnissen teilhaben lässt. Richard Woodman geht es immer darum, einen möglichst logischen und anhand der Quellen nachvollziehbaren Grund für die Rolle und Anwesenheit seines Nathaniel Drinkwater zu finden. Dudley Pope hat einen vollkommen anderen Ansatz. Getreu dem Motto "Frechheit siegt", ließ er seinen Ramage bereits die Schlacht bei Kap St. Vincent entscheiden. Hier hat er es wieder getan und wieder kommt er damit durch, weil er die Fakten ganz genau kennt und somit auch einschätzen kann, wo da noch Platz für Ramage und seine Calypso ist.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)