Seit 11 Bänden und circa 3500 Seiten RAMAGE waren wir beglückte Zeugen, wie ein edler britischer Graf mit seiner temperamentsstrotzenden italienischen Marchesa di Volterra (kurz: Gianna) herumscharmützelte, sie rettete, sich in sie verliebte und sie im Hause seiner Eltern für mehrere Jahre beherbergte. Sie liebten sich, sie stritten sich, sie wollten sich!
Aber sie konnten nicht. Aua!
Wir wurden Zeugen von Liebe, Leidenschaft und der Entfremdung der beiden voneinander. Dies gelang aber nur den Lesern, die ihre Fantasien in bewegte Bilder übersetzten. Einige Leser dachten schon darüber nach, welche Schauspieler und -innen der Gegenwart tragende Rollen einer möglichen Verfilmung (natürlich: Hollywood!) übernehmen könnten...
Das war doch schön! Eine Balance zwischen: Sie kriegen sich, sie haben sich, sie haben keine Zukunft, oder vielleicht doch? Die treuen Gefährten des Helden protegierten diese Liaison, ein kleiner Held (Neffe Orsini) hatte den großen Helden zum onkelhaften Vorbild und eiferte ihm nach.
Es braucht diesen 12. Band mit 423 Seiten, damit wir erkennen und mitvollziehen:
Adel verpflichtet!
Die Liebe wandelt sich zur liebsten Geschwisterschaft und wird damit begraben.
Weil? Eine italienische Herrscherin kleine italienische Nachwuchs-Herrscher gebären soll. Weil die italienischen Untertanen keine stranieri dulden, keine 'Fremden' aus England. Weil die heißblütige Italienerin zurück ins heiße Italien muss, um dort zu herrschen. Weil diese Italienerin katholisch ist und kleine italienische Herrscher katholisch sein müssen.
Weil ein britischer Graf im kalt-nebligen Kent in einem alten Gemäuer alt werden möchte, als Admiral oder Kapitän – ganz egal. Weil ein Protestant sich nicht von Weihrauch umnebeln lassen will. Weil ein britischer Lord (einer der ältesten Grafschaften!) in der britischen High-Society auch standesgemäße Partnerinnen finden könnte.
Es braucht leider 100 Seiten, bis dem Leser klar wird – die in 11 Romanen schwebende Beziehung ist erledigt. Der italienische Vulkan ist erloschen, Gianna geht zurück nach Volterra. Ramage hat NUR noch eine liebe Schwester.
Das wird umständlich, halbherzig und langatmig hergeleitet, umständlich gerahmt und launig erzählt. Selten war der Autor bisher so wenig inspiriert! Etwas schade!
Hier wären andere Lösungen möglich gewesen, Herr Pope! Es hätte den Temperaments-Antipoden (Nicolas-Gianna) auch gut getan, wenn es mächtig im stehenden Gut gekracht hätte (unter Karronaden-Beschuss!). Dann eine versöhnliche Aussprache und gut und durch mit der von vornherein schwierigen Beziehungskiste.
So wie es ist, ist es eine Vorbereitung. Wir springen zum Ende des Romans. Ramage ist voll verknallt in eine britische Adlige namens Sarah, die mit ihren Eltern aus Indien heimkehren will. Und die er im 13. Abenteuer ….
Und was war sonst noch?
Ach ja! Es gibt ja auch noch ein großartiges Abenteuer und einen Pope, der witzige Dialoge schreibt und einbettet und das Rauschen des Meeres einfängt und die Farbe der Wolken. Eine neue Fremdsprache, die man nebenbei erlernt – das bedeutungsschwangere hoch differenzierte Schniefen des Naviators Southwick.
Das Abenteuer: Es ist der Frieden von Amiens. Geheimauftrag für die Calypso und unsere bekannte Truppe. Sie fahren nach Trinidade, das ist eine winzige Insel auf dem Breitengrad von Rio de Janeiro im Südatlantik, weitestgehend unbekannt, auch heute noch. Die Insel soll für Britannien eingenommen, kartografiert, vermessen, gezeichnet und erbeutet werden. Geiler Auftrag in Friedenszeiten! Dort angekommen, finden die Calypsos vor: 5 gekaperte Prisen, ein Kaper-Schoner, 100 fiese Piraten und eine schier unlösbare Aufgabe, weil die Piratenbosse die Geiseln meucheln wollen, wenn eine Befreiung droht. Ramage trickst wieder ausgezeichnet herum, befreit die Geiseln und rettet diese. Der Schoner wird nicht geschont! Man reist heim.
Und was war sonst noch?
Während der Befreiung kommt es zu einer sensiblen Annäherung des Helden an seine neue Göttin. Er fasst ihr an die nackte Brust. Und dabei hat er ein Kopftuch als Lendenschurz um und sieht aus wie Tarzan. Der wortkarge Master beschreibt das so in Bezug auf den 1. Leutnant:“Sie sehen aus wie ein Indianer, Sir. Ich hätte fast erwartet, Sie wollten versuchen uns Mangos zu verkaufen.“
Der Held wird zweimal verletzt, aber unter den Händen einer Sarah – da heilen Hiebwunden, Zerrungen und alles andere im Zeitraffer-Tempo! (Gut, dass die alte Beziehung zu Gianna schwebte und nicht geschient werden musste – hier hilft aktuell im Heilungsprozess der Neue-Lady-Sarah-Effekt!).
Und was war sonst noch?
Ramage stattet einem Hydrografen einen Besuch ab – interessante Einblicke in das Entstehen von Landkarten – später wird Trinidade vermessen und gezeichnet.
Ein Scharmützel mit einem Linienschiff endet fast dramatisch – ein schizophrener Kapitän und eine Linienschiff-Besatzung stehen kurz vor der Meuterei!
Der mitreisenden Maler ist fasziniert von den Wolkenbildern im südlichen Atlantik. Er ist beliebt und so spielt er mit den Offizieren: Wer erkennt in den Wolkenbildern bekannte Stars? Da erkennt man den 1. Lord (mich), da erkennt man diesen oder jenen Prinz – oder auch Besatzungsmitglieder – ein lustiges Spielchen beim Dahingleiten mit 4 Knoten Reisegeschwindigkeit oder beim Dahindümpeln in den Kalmen.
In allen 12 Bänden outet sich der Autor Dudly Pope als Schachspieler. Es gibt in jedem Roman immer mal wieder die eine oder andere Anspielung an das Schachbrett (Fußböden) oder auch strategische Spielzüge, die der Held oder andere mit unterschiedlichem Erfolg planen oder auch erfolgreich durchführen.
Was haben wir hier in diesem 12. Band? Eine vielleicht zu wenig marinehistorische Geschichte? Eine Mission im Frieden mit bösen Buben, die weg müssen? Einen umständlichen erzählerischen Rahmen, um uns geneigten Lesern zu verklickern, dass die kleine hübsche Italienerin nun Vergangenheit ist? Dafür freuen wir uns über eine neue knusprig leicht besonnte Lady Sarah, die eine einzig richtige Zukunft für den sympathischen Lord Ramage bedeutet und die uns nun in den folgenden Romanen zu spektralem Kopfkino inspiriert.