Band 10 - Ramage gegen Napoleon

  • Coups d'etat oder The Ramage Style


    Das wurde aber auch Zeit! In diesem 10. Band der Romanserie um den uns mittlerweile vertraut gewordenen britischen Lord klärt uns der Autor Dudley Pope endlich auf, was uns LeserInnen in den Bann zieht und was uns die Lektüre nicht wegleg(s)en lässt. Wir erleben unseren heldenhaften Fregattenkapitän, denn er ist listig und schlau, mutig und ehrenhaft, männlich und smart und und
    Und DAS ist der Ramage-Stil. Und dies formuliert nicht etwa der Autor selbst als allwissender Erzähler, nein, hier legt er es seinen Figuren in den Mund. Zunächst bezeichnet ein französischer Konteradmiral die Handlungen von Ramage als Ramage-Stil und meint damit auch immer, dass es zum bitteren Schaden für Frankreich ausgeht (S.298). Und später verzichtet Ramages 1. Offizier Aitken erneut auf die Überführung als Kapitän einer gekaperten Fregatte nach Gibraltar mit der Begründung, er wolle den Ramage-Stil noch weiterhin erleben.
    Dieser Ramage-Stil wird auf Figurenebene so zusammengefasst: „Du hast eine Fregatte und zwei Bombenketschen den Franzosen direkt vor die Nase manövriert, ohne daß sie auch nur den kleinsten Verdacht hegen; alles, was sie gesehen haben, sind 3 Zigeuner“ (S.196). Zum Ramage-Stil gehört auch schon seit 10 Bänden der Überraschungsmoment: „Man kam aus der Hecke gesprungen und schrie 'Buh'!“(S.140).


    Die Handlung des 300-seitigen Romans ist eher überschaubar: Ein Traumauftrag im Mittelmeer: Soviel Unruhe stiften wie es möglich ist, denn die britische Marine hat sich fast vollständig aus dem Mittelmeer zurückgezogen. Die Calypso überrascht 2 Mörserketschen in einer frühabendlichen Flaute, da die französischen Besatzungen samt den Leutnants im Weinrausch schlafen. Ohne Verluste werden die Ketschen überlistet und gekapert. Zusammen segeln sie an der italienischen Küste südostwärts bis Porto Ercole. Dort ankern 3 französische Fregatten, um Soldaten und Geschütze zu verladen. Bei einem spektakulären Versuch herauszufinden, was das der Plan und das Ziel der französischen Aktivitäten ist, wird der Lord samt Begleitung gefangen genommen, aber auch natürlich wieder befreit. Eine Fregatte wird zerstört, eine bleibt heil und eine flieht. Bei der Verfolgung der fliehenden Fregatte geht diese verlustig. Ramage löst die Zunge eines Konteradmirals und erfährt von den streng geheimen französischen Plänen.


    Diese Handlung bildet nur das Gerüst und hält trotzig den Spannungsbogen. Denn Pope verwöhnt uns geneigte Leser marinehistorischer Literatur mit vielerlei zeittypischen, interessanten Details aus dem Leben an Bord und nahe der italienischen Küste. Pope gelingt wieder eine eindrucksvolle und pikante Gewürzmischung.
    Wie funktioniert eine Mörserketsch, also ein zweimastiges Segelschiff, das als Lafette für 2 riesige Mörsergeschütze dient? Pope beschreibt haarklein den Aufbau und die Funktionsweise von diesen beeindruckenden Waffen, indem er uns Leser am Übungsschießen des bekannten Personals: Rossi, Stafford, Jackson und Orsini teilnehmen lässt. Dies gelingt ihm so plastisch, dass man nach der Lektüre in der Lage ist, um 3:00h aus dem Schlaf gerissen zu werden und sofort im Pyjama einen Mörser laden, zweifach anzünden, zielen und abfeuern könnte. Das Mörserschießen sollen wir uns akustisch als 'ungeheuren Grunzlaut' vorstellen. Vielleicht etwas für Sylvester?
    Auffrischend die begriffliche Historie, dass Pistolen ihren Ursprung in der italienischen Stadt Pistoia, Bajonette im französischen Bayonne haben. Nur wieso die Briten zum Dolch Dirk sagen, bleibt nicht geklärt.
    Augenzwinkernd die Anekdote, dass sich französische Offiziere gewöhnlich abends rasieren und daher morgens immer Bartstoppeln haben (S.287).
    Natürlich hat Pope auch einen geübten Naturblick, besonders auf Stechinsekten und „...Ameisen, die mit rotglühenden Schürhaken herumzulaufen scheinen“.
    Wenn wir bei Kent damit in jedem Band erinnert werden, dass entfernte Rahsegler aussehen wie Segelpyramiden und Ruderboote wie Wasserkäfer, finden wir hier bei Pope folgende Beschreibung: „...das Vormarssegel fiel herunter wie eine riesige, von Giganten ausgeschüttelte Serviette...“. Das ist Fabulierlust á la Pope. Das macht Lust auf Me(h)er.


    Lassen wir uns nicht diesen Band schlecht denken durch den wirklich grottenschlechten deutschen Titel 'Ramage gegen Napoleon'. Im Original heißt es 'The Ramage Touch'. Das klingt ja schon fast wie 'The Ramage Style'. Touch ist zu übersetzen als Berührung, Kontakt, Antasten.
    Der Ramage-Kontakt ist in jedem Fall hergestellt – ganz bestimmt zu uns Menschen im 21. Jahrhundert. Es muss nicht erklärt werden, wie schlecht der deutsche Titel ist und warum das so sein musste 1995. Das war wohl eine Schandtat des Lektorats und eher weniger eine der Übersetzung durch Eckhard Kiehl. Denn dem Übersetzer ist es zu verdanken, dass er dem Cockney sprechenden Will Stafford folgendes aus dem Mund übersetzt: „In Wahrheit bin ich eine wunderschöne Frau, festgebunden an einen Baum, und da kommt mein Schatz auf seim weißen Ferd“, dabei zeigte er auf die Calypso,“und da is der abscheuliche Bösewicht, der wo mich kidnappen will“ (S.245).


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    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)

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  • Vielen Dank für diese wunderbare Rezension. Das Buch zählt zu meinen Favoriten innerhalb der Reihe wegen der umfassenden Darstellung zu den Mörserketchen.


    Der Ramage Touch ist natürlich eine direkte Bezugnahme auf den bekannten Nelson Touch, der sich ursprünglich auf eine Reihe von Plänen und Ideen zur Führung von Seeschlachten bezog, die Nelson während seines letzten Landurlaubs skizziert hatte. Später wurde die Bedeutung weiter gefasst und bezog sich auf seine spezielle Art der Menschenführung, mit der man den Begriff heute hauptsächlich verbindet. Dudley Popes Titelauswahl war also eine deutliche Verneigung vor Nelson und sollte Ramage sicherlich nicht mit ihm auf eine Stufe stellen. Dazu waren die Unterschiede zwischen dem Fregattenkapitän und dem Admiral ja einfach zu groß. Aber durch die Einbeziehung seiner Leute und ihrer Talente lässt Dudley Pope seinen Ramage im Kleinen das tun, was Nelson mit seinen Kommandanten und Offizieren tat. Und das gelingt ihm wohltuender Weise ganz ohne die Erhöhung seines Helden zu "unserem Nelson".
    Durch dieses Augenzwinkern bei der Schilderung von Ramages Abenteuern bleibt halt der Spaß am Lesen erhalten, ohne dass er als Superheld nervt.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)

  • Das ist ja ein großartiger erweiternder Kommentar von SPEEDY. Klasse, wie du das Wissen verknüpfend einfädelst. Da lese ich, dass mir gänzliches Sekundärwissen über die Hintergründe und Zusammenhänge bisher fehlten. Aber wie gut, dass es ja hier ein Community ist.
    Geil, nun ist der Touch so klar wie er nur sein kann.
    Und 'unser' Nelson segelt ja fast immer irgenwo im Hintergrund mit. Bei ja so vielen Geschichten...
    So einen hatten die Schneckenesser eben nicht. Aber der Nelson-Kult ist auch schon manchmal schwer auszuhalten.

    "Wie die Luft gehört die See als Geburtsrecht allen Menschen.“
    (Thomas Jefferson 1743 - 1826)

  • Aber der Nelson-Kult ist auch schon manchmal schwer auszuhalten.

    Es gibt da zum Glück Abstufungen. Zumindest, was die marinehistorische Literatur betrifft. Pope ist halt immer mit einem Augenzwinkern dabei und wie er seinen Ramage in die Schlacht von St. Vincent hineinschreibt ist so herrlich dreist, dass es schon wieder großes Kino wird. Und bei Patrick O'Brian ist das "Aubrey, würden Sie mir bitte das Salz reichen" so banal, dass es schon wieder rührend ist, wie sehr Jack von seinem großen Vorbild schwärmt. Es gibt natürlich auch Härtefälle, wenn ich da an Alexander Kent und "unseren Nelson" denke.

    Glück hat meistens der Mann, der weiß, wieviel er dem Zufall überlassen darf. (C.S. Forester)