Zeitsprung Teil 1

Zeitsprung Teil 1
von: Saarpirat

McLead saß mit Jack, Duncan, Jim und Tobias in der Kapitänskajüte. Von der Mannschaft waren Jan, Mattes, Hauke und Paddy anwesend. Zuerst wollte man sich anhören, was Francis Green zu sagen hatte und dann in dem breiten Kreis besprechen, wie es weitergehen würde. Der Rest der Überlebenden verstand kein Englisch.
„Dann erzähl uns mal deine Geschichte!“ forderte McLead den Schotten auf.
„Was habt ihr mit mir vor?“ begann Green mit einer Frage.
„Nun,“ McLead sprach sehr ruhig, „Das kommt auf darauf an, was du sagt. Und was unser Rat entscheidet, nachdem wir dich gehört haben. Wenn du offen und ehrlich zu uns bist, soll dir nichts geschehen. Dann werden wir dich entweder mitnehmen und du kannst das Schiff verlassen, wo du willst oder, im schlimmsten Fall, werden wir dich im nächsten Hafen an Land setzten. Dann musst du selber sehen, was aus dir wird. Doch sei gewarnt: Lügt du an, dann übergeben wir dich an die Holländer und du zierst als abschreckendes Beispiel den Hafen.“
„Das ist fair.“ erklärte sich Green einverstanden. „Wo soll ich anfangen?“
„Am besten, wie du Pirat wurdest!“ forderte McLead ihn auf.
Francis fing bei seiner schweren Jugend in Schottland an, womit er in Duncans Gunst gleich etwas anstieg. Er erzählte, dass seine Mutter bei der Geburt gestorben war und ihn sein Vater, ein armer Tagelöhner, einem calvinistischen Prediger gegeben hatte, der ihn streng, aber gerecht und mit viel Liebe, wenn auch mit ebenso viel Liebe zum Rohrstock, zu einem gläubigen gottesfürchtigen Menschen erzogen hatte. Dann berichtete er, wie er Matrose wurde und schließlich auf die LION gekommen war. Er teilte seinen gebannt lauschenden Zuhören mit, wie es zu der Meuterei gekommen war und gestand seine Feigheit ein, als er vor die Wahl gestellt war, sich für ein Leben als Pirat oder den Gang über die Planke zu entscheiden.
Bislang hatte keiner der Zuhörer Grund an der Wahrheit der Geschichte zu zweifeln. Ähnliche Erzählungen kannten sie zuhauf.
„Wir könnten ihn ein paar Gebete und Bibelstellen aufsagen lassen,“ schlug Tobias vor, „dann wissen wir, ob er wirklich so fromm ist, wie er behauptet.
Jan lachte laut auf. „Und was soll das beweisen? Es gibt genug von diesen Hunden, die schneiden dir lächelnd mit einem Psalm auf den Lippen die Gurgel durch!“
„Erzähle uns lieber, warum dein Kapitän uns mit der Fregatte im Nacken angegriffen hat. Was hat ihn zu dieser selbstmörderischen Wahnsinnstat getrieben?“ McLead gab das Wort an Green zurück.
„Nun, wir hatten lange keine Beute mehr gemacht und brauchten dringend Wasser und Proviant.“ begann Green. „Außerdem murrten schon die Ersten. Aber das war es nicht wirklich. Scarface wollte Rache. Blindwütige Rache!“
„Aber er konnte doch unmöglich wissen, dass ich hier an Bord bin!“ Jack bezog die Rache auf den gebrochenen Kiefer. Knight musste jeden Tag Schmerzen gehabt haben, so wie der Knochen wieder zusammengewachsen gewesen war.
Green schüttelte den Kopf. „Nein, das war es nicht. Es ging um das Schiff selbst.“
„Wieso das?“ fragte McLead.
„Die LION wurde in DRAGON umbenannt.“ hob Francis an. „Dann berichtete er von dem Überfall auf das Kloster und die Verfolgung der BUTTERBLUME um Kap Hoorn herum.“
„Wir haben das Kloster gesehen,“ sagte McLead mit Abscheu, „ihr habt da wie die Teufel gehaust!“
„Ihr müsst mir glauben, ich habe nie einem Menschen etwas angetan.“ bat Green.
„Was ist aus der DRAGON geworden? Wir dachten, sie wäre untergegangen.“ fragte McLead.
Francis setzte seine Erzählung fort. Ausführlich schilderte er die Fahrt die Küste herauf und Schiffbruch der DRAGON, die Durchquerung Panamas, die Eroberung der ASTUTE, die nun als FORTUNE auf dem Grund des Ozeans lag, ihre Abenteuer auf der geheimnisvollen Insel, die verschiedenen Aufenthalte in Tortuga und die Fahrt nach Madagaskar.
Die Erzählungen Greens und die Abenteuer der Piraten faszinierten die Zuhörer gegen ihren Willen. Allen war klar, welch grausamen Schicksal sie nur um Haaresbreite entgangen waren, trotzdem konnten sie sich dem Bann nicht entziehen. Green hatte auch berichtet, wie das Schicksal gefangener Frauen aussah oder wie Knight Gefangene gefoltert hatte, sei es um die Herausgabe versteckte Schätze zu erpressen oder aus Rache, wobei er dabei besonders einfallsreich war. Er hatte erzählt, wie einem Opfer die Haut bei lebendigem Leib abgezogen worden war oder wie Scarface einem Mann den Bauch aufgeschlitzt hatte. Dann hatte er ein Stück Darm an den Schwanz einer verängstigten Katze geheftet um das völlig panische Tier dann von einem Hund hetzen zu lassen. Was mit dem noch lebenden Mann geschah, überließ er lieber der Fantasie seiner Zuhörer.
„Genug!“ schrie Jack Knight an. Jack zitterte vor Erregung und war schweißnass. Mit jedem Wort Greens malte er sich in immer schaurigeren Farben aus, wie sein Schicksal geworden wäre, hätte Francis ihn nicht gerettet.
„Mir langt es auch.“ stimmt McLead Jack zu. „Warum habt ihr die Karibik verlassen?“
„Die FORTUNE hatte ihr Glück verlassen. Als wir noch dem Desaster auf der Insel wieder in Tortuga einliefen, kam immer mehr Abschaum an Bord.“ Green ließ offen, wie sich der Abschaum von der alten Besatzung unterschied. „Knight fand kaum noch Beute und seine großspurige Art macht ihm wenig Freunde. Als er sich dann mit einem Franzosen angelegt hat, wurde ihm der Boden zu heiß unter den Füßen und er wollte sein Glück in Madagaskar suchen.“
Bislang war Green Bericht nachvollziehbar und McLead hatte keinen Grund an der Wahrheit zu zweifeln. „Warum hast du Jack gerettet?“
„Ich wusste, wer er war,“ begann Green, „natürlich kannte ich ihn nicht persönlich, aber jeder, der schon auf der DRAGON war, kannte die Geschichte und wusste, wie sehr Knight darauf brannte, sich an ihm zu rächen. Ich bin sicher, Knight hätte selbst nicht damit gerechnet, ihm jemals wieder zu begegnen, aber als er ihn erkannt hatte, sah ich meine Chance gekommen. Tom Marley, unser Navigator, hat sicher nicht erkannt, wie wichtig der Gefangene für Scarface war, sonst hätte er mich nie beauftragt, ihn an Bord der FORTUNE zu schaffen. Ich dachte, Leben für Leben und habe alles auf eine Karte gesetzt. Statt auf die FORTUNE zu wechseln sind wir dann den vorderen Niedergang hinunter und haben uns da versteckt.“
„Ja, das stimmt. Ich hatte zwar keine Ahnung, was er mit mir vorhat, aber das war mir auch egal. Alles war besser, als auf die Ketch zu wechseln. Viel machen hätte ich eh nicht können, ich war ja gefesselt.“ bestätigte Jack den Teil von Green Aussage.
„Hast du nicht gedacht, dass wir dich gleich aufhängen und zur Rahnock hochziehen?“ fragte McLead.
„Ich weiß es nicht.“ antwortete Green offen. „Ich habe Jack für einen wichtigen Mann hier gehalten und hoffte auf Dankbarkeit und Gnade dafür. Es war auch meine erste Chance zur Flucht. Ich habe einfach nach dem Strohhalm gegriffen, der da war.“
„Er hat mich einfach in eine dunkle Ecke gedrückt und zusätzlich geknebelt,“ sprach Jack weiter, „als wir das Signal hörten, dass die Piraten abzogen hat er meinen Knebel gleich geöffnet.“
„Was hat er von dir verlangt, Jack?“ wollte McLead wissen.
„Nichts!“ sagte Green. „Ihr habt mir das Leben zu verdanken. Bitte denkt daran, wenn ich um Gnade flehe.“ sagte ich zu ihm.
„Das stimmt!“ nickte Jack. „Er hat nichts verlangt und ich habe ihm nichts versprechen müssen. Er hat dann einfach meine Fesseln geöffnet und wir sind euch dann in den Laderaum gefolgt.“
„Und hast du ihm etwas versprochen?“ fragte McLead weiter.
„Weder Leben noch Freiheit.“ sagte Jack. „Nur, dass wir ihn anhören werden und erst dann entscheiden werden, was mit ihm geschehen wird.“
McLead nickte zufrieden. „Ist das Versprechen erfüllt, Green?“
Francis nickte ohne zu zögern. „Ja, Sir.“
„Duncan, Jim, bitte schafft ihn weg und sperrt ihn sicher ein. Dann kommt wieder, damit wir beraten können. Wir werden dir später unsere Entscheidung mitteilen, Green.“

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