Sean Thomas Russell – Unter feindlicher Flagge 8/18

Literatur-Vorstellung August 2018:

Sean Thomas Russell – Unter feindlicher Flagge

Dieser Roman hat es mir nicht leicht gemacht, aber ich habe es mir mit ihm ebenfalls nicht leicht gemacht. Ich weiß, das hört sich etwas verquer an, soll aber mein ganzes Dilemma verdeutlichen.

Als ich den Roman zum ersten Mal las, tat ich mich ungemein schwer damit. Allerdings waren die Umstände auch nicht günstig, da ich immer wieder nur sehr wenig Zeit zum Lesen hatte und so kein rechter Lesefluss aufkommen konnte. Da der Roman hier im Forum aber überwiegend sehr positiv aufgenommen wurde, wollte ich es nicht dabei belassen und nahm das Buch mit in den Urlaub. Beim zweiten Versuch habe ich den Roman in zwei Tagen durchgelesen. Trotzdem wollte sich mein erster Eindruck des Buches nicht so recht revidieren lassen.

Aber genug der Vorrede. Unter feindlicher Flagge ist der erste Teil einer relativ neuen Reihe um den Seeoffizier Charles Hayden. Da er eine französische Mutter hat, spricht er auch perfekt französisch, weshalb er sich zwischen England und Frankreich hin und her gerissen fühlt, obwohl er sich schon früh für eine Karriere in der Royal Navy entschied.
Wie es nicht anders sein könnte, hat er natürlich keinerlei Beziehungen, ist aber als Offizier der totale Überflieger. Während seinem Freund aus Kindertagen der direkte Sprung vom Leutnant zum Captain gelingt, fühlt er sich übergangen. Auch bei seinem neuen Kommando soll er nur 1. Leutnant sein und zugleich den Aufpasser für seinen neuen Kommandanten spielen. Dieser Jossiah Hart ist nicht nur vollkommen unfähig und dauerkrank, er ist auch ein ausgemachter Feigling, was einige Leute in der Navy zwar ahnen, aber noch keinem wirklich aufgefallen ist. Von Anfang an entwickelt sich die Handlung ganz genau so, wie man es nach den ersten Augenblicken an Bord erwartet. Charles Hayden eilt von Erfolg zu Erfolg, auch mit Hilfe seines ehemaligen Kommandanten, der große Stücke auf ihn hält und Hart wird immer neidischer. Am Ende gibt es die erwartete Katastrophe und als Charles Hayden als siegreicher Held und Retter nach Plymouth kommt, wissen dort schon alle, dass Hart der Held der Stunde ist, obwohl der doch mehr tot als lebendig im Lazarett lag. Ja, die moderne Technik macht es wohl möglich…

Am Ende steht ein Kriegsgerichtsprozess, der so originell verläuft, dass man ihn am besten ganz schnell überblättern sollte.

Mein Fazit nach zweimaligem Lesen: Sean Thomas Russell war stets bemüht, einen spannenden Roman abzuliefern. Leider ist ihm das nur streckenweiswe gelungen, so zum Beispiel bei seinen Gefechtsschilderungen. Insgesamt wollte er aber viel zu viel in seinem Erstlingswerk unterbringen. Das machte ihn leider viel zu topplastig und er musste kentern. Hätte er die Elemente der Handlung auf zwei oder drei Romane verteilt, wäre das Buch sehr viel leichter zu verdauen gewesen.
Außerdem beging er im letzten Viertel der Handlung die absolute Todsünde des historischen Romans: Seine Helden denken und handeln nicht mehr wie Kinder ihrer Zeit, sondern wie Menschen der Gegenwart. Das ist vollkommen unglaubwürdig. Es gibt viele Freunde dieser Reihe, die mehr als diesen ersten Roman gelesen haben. Möglicherweise macht nicht nur Charles Hayden in Zukunft eine Entwicklung durch, sondern auch der Autor selbst. Angesichts des immer magerer werdenden Angebots an maritimen Romanen wäre uns dies allen zu wünschen.

Speedy